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Antifaschismus als Selbstschutz der Arbeiter*innenklasse

Im Jahr 2016 gründeten Paula Lamont und Ella Gilbert den linken und antifaschistischen Box- & MMA-Club „Solstar“ in London. In einem Interview aus dem Jahr 2020 werden sie gefragt, was sie unter „Antifaschismus“ verstehen. Lamont antwortet: „Ich würde Antifaschismus als Verteidigung der Arbeiter*innenklasse und ihrer Communities betrachten.“(1) Ein Satz, der im Gedächtnis blieb.

Wie gehören Antifaschismus und Arbeiter*innenklasse zusammen? Spricht man hier von Verteidigung, dem Schutz oder besser noch dem Selbstschutz der Arbeiter*innenklasse, verbinden sich Soziale Kämpfe und Antifaschismus. Doch warum ist das so? Diese Frage versucht der folgende Text zu klären.

Die Begriffe Antifaschismus, Selbstschutz und Arbeiter*innenklasse sind weder von Lamont noch von den Autor*innen dieses Textes willkürlich gewählt worden, sie sind nicht beliebig. Gleichwohl wissen wir, dass diese Begriffe an sich erklärt oder klar bestimmt werden müssen. Hieran orientiert sich auch der Aufbau des Textes. Was die Arbeiter*innenklasse ist, wird eingangs besprochen, ehe sich damit auseinandergesetzt wird, was unter Faschismus und faschistischer Politik zu verstehen ist. Anschließend wird die Rolle und Notwendigkeit von Antifaschismus besprochen, der Text endet mit den sich aus all diesem ergebenden Konsequenzen.

Wir – die Arbeiter*innenklasse

Die Arbeiter*innenklasse, das sind wir. Natürlich unterscheiden sich unsere Jobs, unsere Arbeitsumstände und -prozesse, die Bezahlung unserer Lohnarbeit oder unsere Möglichkeiten in den Urlaub zu fahren… vieles was uns unterscheidet und trennt, was dafür sorgt, dass wir die Lebenswirklichkeit und Umstände eines*einer jeden um uns herum gar nicht nachvollziehen können. Auf den ersten Blick mag dies so wirken. Was uns aber alle eint und verbindet ist: wir alle sind die Arbeiter*innenklasse.

Jeden Tag heißt es morgens seinen müden Körper viel zu früh auf die Arbeit zu schleppen (oder in viel zu kleinen Räumen der Uni zu hocken), mal mehr mal weniger langweiligen Arbeitsabläufen und Aufgaben nachzugehen und am Ende des Tages ausgelaugt zuhause auf die Couch zu fallen. Das kennen wir alle nur zu gut. Der Grund dafür findet sich bei den Produktionsmitteln. Wir haben nämlich keine! Die PCs im Büro gehören uns nicht selbst, das Büro sowieso nicht und gleiches gilt auch für die Maschinen, die Fließbänder oder die LKW. Weil das so ist, wir also andere Menschen nicht an diesen Maschinen etc. für uns arbeiten lassen können, müssen wir unsere Arbeitskraft verkaufen.(2) Und genau diese Realität teilen wir mit so vielen Menschen, mit armen Menschen, Obdachlosen, Menschen nicht-christlichen Glaubens, Schwarzen, rassifizierten und queeren Menschen. Wenn auch nicht zwangsläufig, so können sie alle die Arbeiter*innenklasse bilden und tun dies auch in großem Maße. Die Arbeiter*innenklasse besteht folglich nicht nur aus weißen Arbeitern in den VW-Werken, die Thomas heißen. Um unserer leidigen und tristen Situation zu begegnen und für unsere Rechte und für ein besseres Leben (für uns alle!) zu kämpfen, müssen wir genau das tun: Kämpfen.

Dazu müssen wir uns, die Arbeiter*innenklasse, organisieren, austauschen und schlagfertig werden. Denn nie werden und wurden uns bessere und weniger gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, weniger Arbeitsstunden pro Tag, höhere Löhne usw. geschenkt (viel Applaus zahlt uns am Ende halt doch nicht die Miete). Dass dies nicht im Interesse der Kapitalist*innen sein kann – schließlich stehen sie mit ihren Firmen, Fabriken und Unternehmen auch in Konkurrenz zueinander („Fressen oder Gefressen werden“) – ist klar. Neben und allzu oft auch mit dem Kapital werden unsere Interessen und unsere Klasse im Ganzen auch immer von Faschist*innen bedroht und angegriffen.

Faschismus und faschistische Politik

Im Folgenden wird es keine abgeschlossene Definition des Faschismusbegriffs geben, dies würde den Rahmen dieses Papiers sprengen.(3) Vielmehr soll der Fokus darauf liegen, was klar als faschistisch zu identifizierende Personen, Bewegungen oder Parteien (Mussolini, „fasci di combattimento“, Hitler/ NSDAP, Höcke/ AfD, Meloni…) tatsächlich tun bzw. tun wollen und warum und wie dies antifaschistisch verhindert werden muss.

Robert Paxton analysiert: „Einmal an der Macht, verboten faschistische Regimes Streiks, lösten unabhängige Gewerkschaften auf, verringerten die Kaufkraft der Lohnempfänger und lenkten zur äußersten Befriedigung der Arbeitgeber große Finanzströme in die Rüstungsindustrie.“(4) Hinzu kam, dass sie „nur das Eigentum der politischen Gegner, von Ausländern und von Juden [konfiszierten].“(5)

Dies sind bzw. waren Angriffe auf uns alle, auf unsere Klasse, dahingehend sind wir geeint. Doch diese Einigkeit, welche sich durch gelebte Solidarität und einer tatsächlichen Schlagkraft gegen Kapital und Faschismus zeigen kann und muss, wird und wurde permanent versucht zu zerschlagen. Die Arbeiter*innenklasse wird versucht durch Rassismus zu spalten, „unten gegen unten“ versucht auszuspielen. Anstelle auf den Chef, der mich scheiße bezahlt und behandelt, soll ich stattdessen lieber meine Wut auf Migrant*innen oder auch Arbeitslose richten. „Eine erhöhte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wird durch eine konstant hohe Anzahl an Arbeitslosen ermöglicht. Diese sind jederzeit bereit für weniger Geld zu arbeiten, weil sie auf diese Jobs angewiesen sind. Sie sind die sogenannte industrielle Reservearmee. Wenn dieses erhöhte Arbeitskräfteangebot in der Form nicht existiert, müssen Arbeitskräfte durch Formen der Migration importiert werden.“(6) Dass diese nicht nur gleichermaßen, sondern in der Regel noch deutlich stärker ausgebeutet werden als Proletarier*innen, die Müller, Meier oder Schulze heißen, soll verwischt und der wahre Grund der Konkurrenz und prekären wie brutalen Lage nicht beseitigt werden. Statt Solidarität und einer demokratischen Produktionsweise, in der wir, die wir tagein tagaus an den Produktionsmitteln arbeiten, selbst bestimmen und entscheiden, was wir für ein gutes Leben brauchen, müssen und sollen die Ellenbogen ausgefahren werden. „Vor allem europäische Arbeiter*innen und Kleinbürger*innen können sich im Angesicht der Möglichkeit sozialer Deklassierung, die in der Klassengesellschaft allgegenwärtig ist, rassistischer Ideologien bedienen, denn das vermeintlich einzige, was sie davon abhält auf die unterste Stufe der sozialen Hierarchie abzusinken, ist die Aufrechterhaltung der [Schranke zu rassifizierten Menschen.]“(7)

„Ausbeutung ist der allgemeine Modus aller Klassengesellschaften.“(8)

Und auch der Nationalismus in unterschiedlichen Formen wird immer wieder gegen uns von der herrschenden Klasse ins Feld geführt, wenn es um unsere Klasseninteressen geht. Mal muss man sich in außenpolitischen Krisen gegen (vermeintliche) Feinde erwehren und eigene Bedürfnisse denen der Nation hinten anstellen. Nicht selten mündet dies in Kriegen und Konflikten, welche uns wiederum am meisten treffen (und selbst wenn diese doch nicht eintreten, so werden verschärfte Gesetze i.d.R. dennoch nicht mehr zurückgenommen). Mal wird gesagt der „Standort Deutschland“ und mit ihm seine wirtschaftliche Stärke sei in Gefahr. Auch das zweite Argument verkennt, dass Konkurrenz, Ausbeutung und Verarmung auch bei einer florierenden Wirtschaft nicht aufhören und wir von einem starken Wirtschaftsstandort Deutschland am Ende des Tages kaum ein gutes und befreites Leben führen können. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass sich ein solcher immer gegen unsere Klassenschwestern und -brüder in allen anderen Teilen der Welt außerhalb von Deutschland richtet. Der Nationalismus als Ideologie nützt der herrschenden Klasse, wir (Menschen der Arbeiter*innenklasse in Deutschland) werden an dem „Erfolg“ einer solchen Politik minimal beteiligt. Vor allem wird so ein Aufbegehren gegen die herrschenden Verhältnisse einzudämmen versucht und dies geschieht immer auf Kosten der Menschen der Arbeiter*innenklasse außerhalb deutscher Grenzen, mit denen das deutsche Kapital in Konkurrenz steht. Hinzuweisen ist darauf, dass diese Argumentationsstränge nicht nur von Ultranationalisten und Faschisten vorgebracht werden, dies tun auch konservative und auch „gemäßigtere“ Parteien – was nicht weniger problematisch ist.(9)

Untrennbar vom Nationalismus sind Faschist*innen und die extreme Rechte. Dass das Wohl unserer Klasse oder weiter noch die Aufhebung der Klassengesellschaft ihnen nicht ferner liegen könnte, soll im Folgenden (historisch und aktuelle) knapp gezeigt werden. „Bei [einer] Veranstaltung [im September 2022] im Paul-Löbe-Haus mit dem Titel „Ein Winter ohne Gas“ ging es um die Gasversorgung, die Energiekrise sowie deren soziale Folgen. Zur Einschätzung des eingeladenen AfD-Politikers Helmut Waniczek, dass die Lage dramatisch werde, sagte Bundesvorstandsmitglied der AfD, Harald Weyel: „Man muss sagen: hoffentlich. Wenn’s nicht dramatisch genug wird, dann geht’s so weiter wie immer.“(10) Vergessen hatte er, dass sein Mikro noch eingeschaltet war. Deutlich wird bei diesem und auch weiteren Aussagen von AfD-Politiker*innen, wie der des früheren Sprechers der Bundestagsfraktion Christian Lüth „der Bundesrepublik müsse es schlechter gehen, weil die AfD davon profitiere“(11), dass eine Verelendung vor allem der Proletarisierten nicht nur bewusst in Kauf genommen, sondern geradezu gewollt und mit der Hoffnung verbunden ist, parteipolitisch zu profitieren. Angemerkt werden muss an dieser Stelle auch, dass hierin auch die (nicht völlig unbegründete) Hoffnung der extremen Rechten steckt, dass Krisen auch das Potenzial mit sich bringen, dass sich die Menschen der Arbeiter*innenklasse autoritären, teils faschistischen Strömungen, Bewegungen, Parteien und Versprechungen zuwenden und ihnen folgen.(12) Die Gründe können unterschiedlich ausfallen: Von der (falschen) Hoffnung dadurch nicht in Verhältnisse abzurutschen, die noch prekärer sind, über die Annahme man werde nun als „Volk“ vereinigt gegen „die Eliten“ erfolgreich in Stellung gehen können(13) und fortan profitieren, bis hin zu einer eigenen „Aufwertung“ gegenüber rassifizierten oder anderweitig als „Feinden“ bestimmten und abgewerteten Menschen.(14)

Auch wenn die AfD nicht in einer Regierungsposition in Deutschland ist, Faschist*innen waren in der Geschichte immer wieder in solchen Positionen. Ein Blick auf ihr Handeln ist wichtig und notwendig um zu verstehen, weshalb dies nie im Interesse der Arbeiter*innenklasse war oder in Zukunft sein wird. In seiner Analyse führt Robert Paxton weiter aus: „Keines dieser Regime veränderte die soziale Hierarchie.“(15) Doch um genau dies muss es uns gehen! Die Abwehr des Faschismus und seiner Angriffe auf unsere Klasse auf der einen und das Eintreten und ein beginnender Aufbau einer neuen, klassenlosen Gesellschaft auf der anderen Seite, müssen unsere politische Praxis bestimmen und prägen. Nicht nur in Italien, auch die Nazis zerschlugen die Gewerkschaften, nachdem sie die Macht besaßen. Zwar muss an dieser Stelle gesagt werden, dass Gewerkschaften nicht das Allheilmittel für alle unsere Belange waren oder sind. Horkheimer kritisiert(16): „Die Arbeitskraft eines Arbeiters wird nicht nur von der Fabrik gekauft und den Erfordernissen der Technik untergeordnet, sondern auch durch die Gewerkschaften verwaltet.“(17) Und dennoch: Gewerkschaften trugen und tragen damals wie heute dazu bei, dass Rechte und Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse verteidigt werden und Besserungen in den Arbeitsbedingungen, der Bezahlung usw. erwirkt werden können (Was Horkheimer auch nicht bestreitet).(18) Auch deswegen waren sie rasch das Ziel der Faschist*innen; eine Organisation neben oder entgegen der eigenen faschistischen, dazu eine, die für sich in Anspruch nahm von und für Arbeiter*innen zu sein, durfte es – neben der ihrigen – nicht geben.(19)

Doch geht es nicht nur um unsere Strukturen, Kieze und Organisationen, es geht nicht zu guter Letzt auch um jede*n Einzelne*n. „Im faschistischen Wertesystem [muss] der Respekt individueller Rechte oder die Forderung nach einem fairen Rechtssystem einem „Dienst am Schicksal“ vom „Volk“ weichen.“(20) Auch hier tritt wieder die Verbindung von Rassismus und Faschismus zu Tage: „Die Wahrheit war also stets das, was immer es dem neuen faschistischen Menschen erlaubte, andere zu beherrschen und was immer es dem auserwählten Volk erlaubte, über andere zu triumphieren. [Erzeugt und geschürt werden sollte] das Wärmegefühl selbst zu einer „Rasse“ zu gehören, die nunmehr ihrer Identität, ihres historischen Geschickes und ihrer Macht voll bewusst wird.“(21) Eine Grenzziehung, die, wie oben ausgeführt, die Klassengesellschaft nicht erfasst, Menschen nicht als gleichwertig erachtet und die Eigentums- und Produktionsverhältnisse nicht anfasst.

Die Aktualität und Gefahr all dessen zeigt sich derzeit unter anderem in Italien: „Die italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Meloni hat ein Haushaltsgesetz für 2023 beschlossen – und darin das Bürgergeld(22) weitgehend abgeschafft. Damit setzt sie eines ihrer Wahlversprechen um. (…) 2023 soll Bürger*innen, die nach Maßgabe der Regierung in der Lage sind zu arbeiten, nur noch acht Monate lang das Bürgergeld ausgezahlt werden. Ab 2024 bekommen sie dann gar kein Geld mehr, wenn sie ein nach der Definition der Regierung „angemessenes“ Jobangebot ablehnen. Andere Menschen, die die Unterstützung beziehen, sollen intensiv überprüft werden. Dazu gehören unter anderem ältere Menschen.“(23) Betroffen von dieser Abschaffung der auch zuvor schon nicht ausreichenden Unterstützung für die armen Menschen Italiens, sind bis jetzt 169.000 Haushalte, weitere sollen noch folgen. Weit über eine Millionen Menschen bezogen bisher diese Gelder. Informiert wurden sie per SMS.(24) Blickt man in das von der rechten Fidesz-Partei Viktor Orbáns regierte Ungarn, wird auch dort der Kampf gegen das Proletariat mit Härte und brutalen Maßnahmen geführt. Unter Anderem wurde per Dekret und unter dem Vorwand der Corona-Pandemie eine Wochenarbeitszeit von bis zu 60 Stunden und nur einem Ruhetag pro Monat rechtlich legitimiert.(25) Und auch in Deutschland versucht die extreme Rechte den Sozialabbau weiter voranzutreiben. Beispielsweise versucht die rechte (Schein-)Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ in den Betrieben Fuß zu fassen und zu intervenieren. In der ZA organisieren sich auch Mitglieder der AfD.

„Das Zentrum Automobil vertrete weniger Arbeitnehmerinteressen als vielmehr Interessen von rechtsradikalen Netzwerken, erklärte Extremismusexperte Matthias Quent […]. Das Zentrum Automobil veröffentlichte 2019 im Internet einen Film, der aus zwei Daimler-Beschäftigten, denen das Unternehmen wegen Rassismusvorwürfen gekündigt hatte, Opfer einer Intrige machte. Das Arbeitsgericht Stuttgart erklärte die Kündigung der beiden Beschäftigten für rechtens.“(26) Der in der Gewerkschaft (IG Metall) organisierte Metaller Antonio Potenza stellt sich gegen das Zentrum Automobil und seine Akteure und formuliert klar, was die Aufgabe einer Gewerkschaft ist bzw. das Interesse der Arbeiter*innenklasse sein muss: „Wir müssen den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital (im Betrieb) ausfechten.“(27)

Kernelement von Faschist*innen und der extreme Rechte jeder Couleur ist ein reaktionäres Frauen- & Familienbild, welches sie auch propagieren. Sie teilen eine radikale Feindschaft gegenüber emanzipatorischen und feministischen Bestrebungen, queeren Menschen und dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Dieses veraltete und unwissenschaftliche Bild von Geschlecht gepaart mit einem steifen Rollenverständnis, welches ebenso zwanghaft durchgesetzt werden soll wie die Aufrechterhaltung der „klassisch, bürgerlichen Kleinfamilie“, haben mehrere Folgen. Zum einen auf der individuellen Ebene: FLINTAs(28) bleiben ihre Rechte verwehrt, werden benachteiligt und angegriffen, der Dauerzustand der Angst wird „normal“. Zudem muss die Auswirkung auf unsere Klasse beleuchtet werden: mehr als die Hälfte der Gesellschaft wird durch die reaktionären Ideen von Faschist*innen und extremer Rechte entmündigt. Sind entsprechende Parteien an der Macht und/oder können faschistische Bewegungen und Protagonisten Gesellschaft prägen, so ist bzw. wäre zudem die Vereinzelung von FLINTAs die Folge, was auch einer Organisierung dieses Teils unserer Arbeiter*innenklasse schadet.(29)

Antifaschismus als Konsequenz

Um es auf den Punkt zu bringen: „Der Faschismus richtet sich prinzipiell gegen die Möglichkeit gesellschaftlicher Emanzipation“.(30) Faschisten gehen von der Ungleichheit der Menschen aus und „die Existenz von Privateigentum und Klassen an sich wurde von Faschisten nie kritisiert, da ihnen die ökonomische Ungleichheit prinzipiell als naturgegeben oder gottgewollt gilt.“(31)

Zudem hätten „faschistische Bewegungen niemals wachsen können ohne die Hilfe gewöhnlicher, selbst konventionell als „anständig“ geltender Leute. Die Faschisten hätten auch niemals ohne die Stille oder gar aktive Zustimmung der traditionellen Eliten – Staatschefs, Parteiführer, hohe Regierungsbeamte – an die Macht gelangen können, von denen viele die Brutalität der faschistischen Aktivisten verabscheuten.“(32) All das muss abgelehnt, bekämpft und der Nährboden für den faschistischen Sumpf trockengelegt werden.

Denn, und das gilt es an dieser Stelle noch einmal besonders herauszustellen: Faschist*innen betreiben nicht nur Sozialabbau oder agieren in Betrieben entgegen der Interessen unserer Klasse und versuchen diese nach nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Überzeugungen zu spalten: Sie greifen die Klasse, sie greifen uns auch physisch tagtäglich an! Sie agieren nicht nur auf parlamentarischer und parteipolitischer Ebene. Sie beleidigen, verprügeln und töten arme Menschen, Obdachlose, Linke, Menschen nicht-christlichen Glaubens(33), Schwarze, rassifizierte und queere Menschen. Sie alle und jede*n Einzelne*n gilt es vor rechten und faschistischen Angriffen zu schützen! Und grundsätzlich ist festzuhalten: Faschistische Gewalt ist immer antiemanzipatorisch und folglich auch nicht im Sinne unserer Klasse. Recherchen nicht staatlicher Organisationen und Journalist*innen ergeben 219 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach dem Ende der DDR, die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher sein. In Osnabrück wurde am 14. September 1994 Peter Hamel von stadtbekannten Schlägern zu Tode getreten, nachdem dieser einen homophoben Übergriff auf zwei junge Männer mitbekam, ihnen zu Hilfe eilte und einschritt. Das Ziel der drei Täter war es an dem Abend „Schwule zu klatschen“.(34) Die Täter waren nicht in festen faschistischen Strukturen organisiert. Und dennoch kam es zu dieser Tötung, welche nicht von ihrer queerfeindlichen Haltung und reaktionärem Weltbild losgelöst betrachtet werden kann. Dies zeigt umso mehr, dass genau hier bereits interveniert werden muss. Die hier sichtbar gewordene brutale reaktionäre Gewalt kann als faschistische Gewalt verstanden werden – die Täter sprachen den Opfern ihre Würde und ihr Recht auf Selbstbestimmung ab. Sie erachteten sie als nicht vereinbar mit der ihrer Vorstellung von Gesellschaft oder (Volks-)Gemeinschaft. In der extrem rechten Ideologie wird „nach unten getreten.“ Unter anderem in der AfD sammelt sich diese Ideologie, dort wird sie gebündelt und ausformuliert. Einzuschreiten gilt es nicht erst, wenn Faschist*innen, extreme Rechte und Reaktionäre sich organisieren, sondern schon vorher! Dies zeigt dieser Abend in Osnabrück, dies zeigen hunderte weitere Abende in Deutschland und weit darüber hinaus.

Aus dieser Analyse leiten sich folgende Konsequenzen ab:

Die Arbeiter*innenklasse kann sich nur selbst schützen. Der bürgerliche Staat schützt sie nicht gegen rechte und faschistische Bewegungen, das erleben wir tagtäglich. „Selbstschutz“ bedeutet nichts anderes.

Als Teil der Arbeiter*innenklasse kann man gegenüber den heutigen Verhältnissen nicht neutral und anteilnahmslos sein. Man muss sich zu diesen verhalten und in dem Eigeninteresse der Klasse und einer*eines selbst handeln und dies geht nur antifaschistisch! Der Faschismus und seine Geschichte muss analysiert werden, faschistische Tendenzen offengelegt und mit den notwendigen Mitteln angegriffen werden. Dabei kann es nicht darum gehen im Antifaschismus eine aufregende Freizeitbeschäftigung zu sehen oder sich in einer selbstgefälligen Szene aufzuhalten. Vielmehr gilt es sich zu organisieren, zu schulen und auf Grundlage von Theorie und dem ständigen Abgleich dieser mit der Praxis im Alltag, Betrieb und anderswo, das gute Leben für alle in einer klassenlosen Gesellschaft demokratisch und antiautoritär zu erstreiten und auf den Weg zu bringen.(35)

Alerta antifascista!

(1) „10 Questions for the Antifa Fight Club” (VICE), unter: https://www.youtube.com/watch?v=jGQhEa_0NVU; englischer O-Ton: „I would regard antifascism as the defense of working class people and communities.”

(2) Dass nicht alle Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen (können) bzw. diese von Kapitalistinnen gekauft wird, wird im nächsten Kapitel noch einmal thematisiert.

(3) Wer zu dem Faschismusbegriff und der/ den Definitionen weiter lesen möchte, dem werden „Robert O. Paxton: Anatomie des Faschismus – Einleitung“ (2016) sowie Matthias Wörsching: „Der Kampfbegriff“ (iz3w, Nov./Dez. 2013) empfohlen. (Auf beide Texte wird sich hier bezogen und dienen gewissermaßen als Grundlage.)

(4) Robert O. Paxton: „Anatomie des Faschismus – Einleitung“ (2016), S. 21.

(5) Ebd.

(6) Bafta Sarbo: Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse – ein materialistischer Rassismusbegriff, in: Eleonora Roldán Mendívil, Bafta Sarbo (Hrsg.) Die Diversität der Ausbeutung – Zur Kritik des herrschenden Antirassismus, S. 51.

(7) Ebd. S. 59.

(8) Ebd. S. 43.

(9) Auch konservative Parteien sind problematisch und handeln nicht im Interesse unserer Klasse. So sprach bspw. CDU-Chef Friedrich Merz im Sommer 2023 von der CDU als „Alternative für Deutschland – mit Substanz“. Empfohlen werden kann an dieser Stelle das Buch „Radikaler Konservatismus“ von Natascha Strobl.

(10) Gareth Joswig: „AfD-Vorstand hofft auf Gas-Krise“, unter: https://taz.de/Vergessen-das-Mikro- auszuschalten/!5876687/.

(11) Gareth Joswig: „AfD-Vorstand hofft auf Gas-Krise“, unter: https://taz.de/Vergessen-das-Mikro- auszuschalten/!5876687/.

(12) Alex Struwe: „Was ist Autoritarismus?“, unter: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168096.krise-der- gesellschaft-was-ist-autoritarismus.html.

(13) Vera King, Ferdinand Sutterlüty: Stichwort – Destruktivität und Regression im Rechtspopulismus, unter: https://www.ifs.uni-frankfurt.de/publikationsdetails/ifs-destruktivität-und-regression-im-rechtspopulismus.html.

(14) Von einer plumpen Heroisierung der Arbeiterinnenklasse soll an dieser Stelle Abstand genommen werden, wenngleich die Arbeiterinnenklasse weiterhin als revolutionäres Subjekt zu verstehen ist.

(15) Robert O. Paxton: „Anatomie des Faschismus – Einleitung“ (2016), S.22.

(16) Weniger gekürztes Zitat Horkheimers: „Die Arbeiterführer sind die Manager der Arbeiterschaft, manipulieren sie, machen für sie Reklame und versuchen, ihren Preis so hoch wie möglich festzusetzen. Gleichzeitig hängen ihre eigene gesellschaftliche und ökonomische Macht, ihre Positionen und Einkommen, die alle der Macht, Position und dem Einkommen des einzelnen Arbeiters weit überlegen sind, vom Industriesystem ab.

(17) Max Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft (Hrsg. Alfred Schmidt), S. 141.

(18) Wir bewerten an dieser Stelle nicht, inwiefern bei diesem Kampf/ bei diesen Kämpfen noch von revolutionären Kämpfen gesprochen werden kann.

(19) Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Klassengesellschaft betrachtet und analysiert werden muss. Unsere Klasse, die Arbeiterinnenklasse, darf sich nicht aufgrund von nationaler Zugehörigkeit oder Rassismen spalten lassen. Zwar gab es im Nationalsozialismus die Deutsche Arbeitsfront (DAF), diese wurde aber erst im Zuge der Zerschlagung sämtlicher bis dato bestehender Gewerkschaften gegründet und forcierte die „Volksgemeinschaft“ anstelle des Klassenkampfes. Löhne wurden im Sinne des „Volkskörpers“ und nicht mehr durch die Arbeiterinnenklasse und ihren Organisationen ausgehandelt. Von potenziellen Freizeitangeboten, die die Unterorganisation der DAF, die KdF, zur Besänftigung versprach, waren schwarze, jüdische oder politisch oppositionelle Arbeiterinnen ausgenommen. Vielmehr wurden sie bekanntermaßen verfolgt, weggesperrt, gefoltert und ermordet.

(20) Robert O. Paxton: „Anatomie des Faschismus – Einleitung“ (2016), S.36.

(21) Ebd., S.31.

(22) Hingewiesen werden soll an dieser Stelle, dass der Begriff irreführend und euphemistisch ist. Menschen, die diese Gelder bezogen, erhielten dieses nur, wenn sie ihre „Bedürftigkeit“ nachweisen konnten. Was darunter zu verstehen ist, bestimmen aber nicht die Menschen selbst, sondern der Staat. Der Höchstsatz lag bei 780€, ehe Meloni und die extrem rechte Regierung in Italien diese Gelder einstampfte. Nachzulesen unter:
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/italien-proteste-sozialhilfe-100.html.

(23) labournet.de: „Die neofaschistische Regierung geht gegen Erwerbslose vor“, unter:
https://www.labournet.de/internationales/italien/lebensbedingungen-italien/die-neofaschistische-regierung-geht-gegen-erwerbslose-vor-italien-schafft-buergergeld-ab/.

(24) tagesschau: „Ein Kampf gegen die Armen“, unter: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/italien-proteste-sozialhilfe-100.html.

(25) IG Metall: „Eldorado für die deutsche Autoindustrie – Hintergründe zu Ungarn“, unter: https://www.igmetall.de/download/20220407_No_12_Ungarn_Eldorado_f_r_die_deutsche_Autoindustrie_4e9e3a2ae37f878ad22f80abc1e1a5441d4f0ab3.pdf.

(26) Hans-Böckler-Stiftung, Ausgabe 01/2021, unter: https://www.boeckler.de/de/magazin-mitbestimmung-2744-rechts-sein-heisst-fur-den-verbrenner-sein-30704.htm.

(27) Ebd.

(28) FLINTA steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen.

(29) s. Mariarosa Dalla Costa: “Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft” (1972).

(30) Matthias Wörsching: „Der Kampfbegriff“ (iz3w, Nov./Dez. 2013).

(31) Ebd.

(32) Robert O. Paxton: „Anatomie des Faschismus – Einleitung“ (2016), S. 26.

(33) „Einmal an der Macht, konfiszierten die Faschisten nur das Eigentum der politischen Gegner, von Ausländern und von Juden. Keines dieser Regime veränderte die soziale Hierarchie.“ (Robert O. Paxton: „Anatomie des Faschismus – Einleitung“ (2016), S. 22.).

(34) Mahnmal gegen Homophobie und für Zivilcourage – in Gedenken an Peter Hamel, unter: http://www.mahnmal-zivilcourage-os.de.

(35) Das „Wie?“ kann und muss (weiterhin und verstärkt) in Plena, Antifa-Cafés oder Offenen Antifa Treffen und gerne auch andernorts besprochen und diskutiert werden.