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Redebeitrag: Demo gegen Rassismus und Antisemitismus am 09.12.2023

Unser Redebeitrag auf der Demo „Stop GEAS – Gegen Rassismus, Antisemitismus und europäische Abschottung“ am 09.12.2023:

Einem Aufruf zum guten Leben für alle folgen wir doch gerne – denn kleiner Lagecheck warum wir davon gerade weit entfernt sind: Häuser von Jüdinnen*Juden werden mancherorts wieder mit Davidstern markiert. Scholz lässt sich auf dem Spiegel Cover mit ‚Wir müssen endlich in großem Stil abschieben‘ zitieren. In Frankreich macht eine junge Jüdin ihre Haustür auf, wird niedergestochen. An der Haustür prangt danach ein Hakenkreuz. Merz sagt, wir können keine palästinensichen Geflüchteten aufnehmen weil „wir“ genug Antisemiten im Land hätten und meint damit nicht Aiwanger. Aiwanger, der in seiner Jugend antisemitische Flugblätter verteilt hat und heute in einer rechtsoffenen Partei sitzt, ist plötzlich Anti-Antisemitismus Experte. 13 Jährige feiern auf TikTok ihren politischen Erweckungsmoment durch Osama Bin Laden. Nach dem brutalen Terrorakt der Hamas auf Israel am 7. Oktober drehen hier scheinbar alle am Rad. Oder in versöhnlicher wie kürzlich eine Zeitung titelte: ‚Alle sind betroffen. Alle sind enttäuscht.‘ Es stimmt – die einen sind enttäuscht darüber, dass eine Solidarität ausbleibt oder in reflexhafter Gleichgewichtung nur ausgesprochen wird wenn darauf ein ‚aber‘ folgt. Die anderen sind enttäuscht darüber, dass auch ein in Massen auf die Straßen gehen wenig an der akuten Lage in Gaza verändert und dass antimuslimischer Rassismus mitsamt Repressionen gegenüber migrantisierten Menschen in der BRD rapide ansteigt.

Was stark zu dieser gegenseitigen Enttäuschtheit beiträgt, sind nicht etwa die realen Betroffenengruppen vor Ort sondern jene, die in ihrem Namen eine eigene politische Agenda verfolgen und in dem Stimmgewirr schnell mit den tatsächlich Betroffenen verwechselt werden – die klassischen Strohmänner. Den Betroffenen legen sie noch mehr Steine in den Weg, indem sie den Eindruck vermitteln, die Interessen von Jüdinnen*Juden und die von Muslim*innen seien unvereinbar miteinander bzw. Gegenpole. Gemeint ist damit auf der einen Seite die rassistische Haltung der Abschiebung und Abschottung, die unter dem Deckmantel des Anti-Antisemitismus so tut als wäre muslimischen Menschen, ganz im Gegensatz zu jüdischen Menschen, der Islamismus, Antisemitismus und eigentlich jede reaktionäre Ideologie quasi von Natur aus in die Wiege gelegt worden. Auf der anderen Seite die antisemitische Haltung unter dem Deckmantel des Antirassismus, die Jüdinnen*Juden, ganz im Gegensatz zu muslimischen Menschen, pauschal auf der Seite „der Weißen“, der Herrschenden, der Imperialisten verortet, gegen die gekämpft werden müsse.

Beide Positionen argumentieren essentialistisch, führen Verhalten also auf Geburt, Kultur, Natur etc. zurück und lassen Herrschaftsanalysen bewusst außenvor. Bei der Abschottungsposition ist es offensichtlicher. So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Darstellung des Islamismus in Deutschland gerne die Beteiligung der Regierung selbst vergessen. Islamismus gedeiht nicht einfach so. Türkische Gastarbeiter*innen brachten nicht etwa den Islamismus mit in die BRD. Nein, sie begannen sich zu organisieren, sich teilweise mit ihren deutschen Kolleg*innen zu verbünden und zu streiken und waren empfänglich für linke Agitation. Ein Dorn im Auge der BRD, die daraufhin in den 70er Jahren stark mit islamistischen und türkisch-nationalistischen Verbänden kooperierte, welche eben diese Strukturen zerschlugen und Mitglieder anwarben. Sehenden Auges wurde hier eine Agenda durchgesetzt, die emanzipatorische Migrant*innen und Jüdinnen*Juden von Anfang an gefährdete, nur um 40 Jahre später unter dem Vorwand von ‚importiertem Antisemitismus‘ rassistische Abschottungspolitik durchzusetzen. Zu gleichen Teilen wie Muslim*innen hier als kollektiv nicht-zugehörig gemalt werden, werden Jüdinnen*Juden als kollektiv zugehörig, weil westlich und weiß, gemalt. Auch das entbehrt jeder Faktengrundlage. 90% der jüdischen Gemeinden in der BRD stammen aus der ehemaligen Sowjetunion, erleben anti-osteuropäischen Rassismus und Antisemitismus gleichzeitig, leben überproportional in Altersarmut. Auch sephardische Jüdinnen*Juden, oft mit einer Migrationsgeschichte aus nordafrikanischen Ländern, wehren sich vehement gegen diese Homogenisierung als ‚weiß‘ – sowohl vonseiten dener, die aus ihrem eigenen Rassismus heraus auf der Seite einer vermeintlich weißeren Gruppe stehen wollen, als auch derer, die sich genau deshalb dagegen positionieren.

Auch eine Herrschafts/ bzw. Klassenanalyse der Betroffenengruppen bleibt zwangsläufig bei Antisemiten und Rassisten aus: Unerwähnt bleibt, dass noch am 6. Oktober Umfragen aus Gaza zeigen, dass 67% der Bevölkerung der Hamas wenig bis gar nicht vertrauen, dass Anti-Hamas Demonstrationen in Gaza regelmäßig gewaltsam unterbunden werden müssen, dass umliegende arabische Staaten widerum palästinensische Geflüchtete gänzlich im Stich lassen und als politischen Faustpfand unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern halten, dass kurz nach dem Angriff israelische und palästinensische Frauen gemeinsam auf die Straße gingen, dass Israelis seit Monaten in Millionen auf die Straßen gehen um gegen die rechte Regierung zu protestieren. Klassen gibt es in dieser Gesamtheit sowieso nicht. Sonst müsste man ja auf Menschen in Israel hören, die sich gegen die Korruption ihrer Regierung wehren. Auf Menschen in Gaza hören, die sich eben auch gegen die Korruption der Hamas und der PLO wehren, dagegen dass die Hamas gelegte Wasserleitungen aufgräbt um nach Anleitung des Iran Waffen draus zu schmieden und internationale Gelder veruntreut statt das Überleben der Zivilbevölkerung zu sichern. Letztere Positionen kommen auch bei einem Antisemitismus im Gewand des Antirassismus zu kurz. Denn weder Rassisten noch Antisemiten passt das so richtig in den Kram. Beide hätten lieber eine nationale oder religiöse, homogene Gesamtheit, die man als Ganze im Falle der einen abwerten, im Falle der anderen, zu Helden erklären kann.

Antifaschistische Praxis bedeutet für uns, hervorzuheben, dass es sich hier nicht einfach um einen ’natürlich‘ gewachsenen Glaubenskrieg handelt, dass antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus sich nicht einfach darin unterscheiden, gegen wen sie sich jeweils richten, sondern von ihrer Grunddynamik des nach unten und vermeintlich ’nach oben‘ Tretens. Sie sind zwei Seiten einer bürgerlich-faschistischen Medaille. Nicht umsonst ähneln sich faschistische Verschwörungsideologien, früher die des ‚jüdischen Bolschewismus‘ oder heute des ‚großen Austauschs‘, darin, dass sie gegen eine rassifizierte Gruppe treten, die eine westliche Gesellschaft vermeintlich unterwandert und gegen eine antisemitisch kodierte Gruppe treten, die diese Unterwanderung vermeintlich orchestriert. Aktuell taucht dieses Sündenbock- und Verschwörungsnarrativ auch in Form von vermeintlicher Israelkritik oder der Annahme, Israel hätte Deutschland wegen ‚german guilt‘ im Würgegriff, auf. Abgesehen davon, dass das stark an die faschistische Schlussstrichdebatte erinnert: Wenn Germany sich seit jeher guilty fühlen würde, wäre es damals keine Verbindung mit dem Islamismus gegen den gemeinsamen Feind Kommunismus eingegangen, würde eventuell nicht nach wie vor Geschäfte mit dem Iran machen, der die Hamas ausstattet und anleitet, oder mit der Türkei, deren Autokrat offen die Hamas lobt und das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Dann wäre Deutschland anders mit dem Anschlag eines Nazis in Halle, anders mit den antisemitischen Corona Protesten, anders mit Antisemiten wie Höcke und Aiwanger umgegangen, dann gäbe es keine Kürzung von Präventionsprogrammen gegen Antisemitismus und Rassismus und Anne Frank Kindergärten würden nicht 2 Wochen nach dem zweitgrößen Massaker an Jüdinnen*Juden nach der Shoah umbenannt werden. Aber Antisemiten, das sind immer die anderen.

Die Grundlage für moderne Ausprägungen rassistischer und antisemitischer Ideologien ist das kapitalistische System, das auf Ausbeutung aufbaut. Die unpersönliche, sachliche Herrschaft des Kapitalismus verlangt nach einer Projektionsfläche, für die Jüdinnen*Juden als ‚herrschende Elite‘ herhalten müssen, während die jeweils rassifizierten Gruppen abgewertet werden, um eine Legitimation für ihre (Über)ausgebeutung zu haben und Allianzen zwischen migrantisierten und nicht-migrantisierten Arbeiter*innen durch ein vermeintliches Konkurrenzverhältnis zu verhindern. Auch das erklärt den Antisemitismus, der hinter Narrativen der jüdischen Übermacht steckt – ob in Form eines zugeschriebenen homogenen privilegiert, weil ‚weiß‘, seins – wobei die Gleichsetzung von Herrschenden und „weiß“ schon totaler Unfug ist – oder in Form von zugeschriebener intriganter Allmacht eines mehrheitlich jüdischen Staates. Ein Kapitalismus, der multiple Krisen nach sich zieht, wird immer mehr Gelegenheiten bieten, die Jahrhunderte gewachsene Schablone des Antisemitismus anzuwenden um einen Sündenbock zu haben. Weitere Dynamiken, die er hervorbringt, z.B. auf Zustimmung statt auf Widerspruch aufbauende Algorithmen hinter sozialen Netzwerken, die solche Denkfehler nicht auflösen sondern gar befördern, kippen zusätzlich Öl ins Feuer.

Statt bei diesem Gegeneinander ausspielen mitzumachen, gilt für uns: Die Kämpfe gegen Antisemitismus und gegen Rassismus bedingen sich gegenseitig. Nicht umsonst hat ein völkisches und faschistisches Deutschland in einem wahnhaften nach unten und angeblichem ’nach oben‘ treten beides zu Tage geführt, was die Haltung von Antifaschist*innen sehr klar machen sollte. Auf dieser Basis wären Allianzen so fruchtbar, und wichtiger denn je. Und es gibt sie, auch wenn sie im social media clickbait Strudel untergehen. Wem sie neben den Antisemiten und Rassisten hierzulande am meisten ein Dorn im Auge sind, ist die Terrororganisation Hamas und die israelische Regierung bzw. Teile der herrschenden Klasse dort, denn diese würden ohne den Dauerkonflikt jede Legitimation verlieren. Wessen rassistische Politik sich in ein Gewandt des Anti-Antisemitismus kleidet kann kein Verbündeter sein. Genauso sind Kundgebungen, bei denen sich entweder Islamist*innen oder Anhänger*innen der AfD wohl fühlen für uns keine Räume der Solidarität.
Es gilt diesen Ideolgien die Grundlage zu nehmen und das geht eben nur über den Zusammenschluss der Menschen entlang ihrer Klasse. Indem sie solidarisch miteinander sind, indem die Konkurrenz aufgehoben wird und gemeinsam für eine andere Welt gestritten wird – hier wie in Israel und Palästina.

Was bleibt, und wovon wir uns wünschen würden, dass es wieder mehr Zuspruch erfährt, ist: die Auseinandersetzung mit Komplexitäten, das Zulassen von Widersprüchen, das gemeinsame Kämpfen für geteilte Ziele wie das gute Leben für alle ohne Rassismus und ohne Antisemitismus – und das alles am liebsten ohne die Theorie zu vergessen. Wir wehren uns dagegen, Menschen mit ihren Regierungen gleichzusetzen und unterstützen oppositionelle und emanzipatorische Bewegungen, ohne dabei den Kopf zu verlieren. Oppositionen sind nicht immer emanzipatorisch aber Emanzipation ist meist oppositionell. Informierte antifaschistische Solidarität statt gleichgültiger Humanismus!

Gegen jeden Antisemitismus.
Gegen rassistische Abschottungspolitik.

Quellen:
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/507449/die-blinden-flecken-antirassistischer-diskurse/
https://www.iwm.at/publication/iwmpost-article/der-westdeutsche-dschihad-gegen-den-kommunismus
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/amina-aziz-islamismus-lebt-vom-leid-der-palaestinenserinnen-107311/
https://www.instagram.com/p/C0WhneZsN8-/
https://www.peacecomms.org/gaza
https://zwst.org/sites/default/files/2022-01/Factsheet%20zum%20Problem%20der%20Altersarmut%20unter%20jüdischen%20Zuwandererinnen%20%282%29.pdf