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Nicht staatstragend werden!

Kurz nachdem sich das Corona-Virus in Deutschland ausbreitete und staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bei gleichzeitigem Weiterlaufen der Lohnarbeit eingeleitet wurden, formierten sich die verschwörungsideologischen Corona-Leugner*innen in vielen Städten.

Es waren aber nicht die einzigen, die auf die Straße gingen. Auch Linke protestierten, Themen waren dabei vor allem die ungleiche soziale Betroffenheit durch die Maßnahmen, wegen der sozialen Stellung unterschiedliche Risiko am Virus zu erkranken. Die menschenunwürdigen Zustände in Geflüchtetenunterkünften, die durch das Virus verschlimmert wurden, die Zumutungen im Pflegesektor und die verschärfte Mehrfachbelastung von Frauen wurden von links skandalisiert. Auch journalistisch und analytisch wurden Texte von vielen Gruppen und Zeitungen verbreitet, welche eine Politisierung der Corona-Krise vorantrieben und die Stimmung sowie die Unterbrechung des Alltags nutzen wollten. Viele Linke arbeiteten in den solidarischen Nachbarschaftsvernetzungen mit, welche zu Beginn der Pandemie überall entstanden und versuchten hier eine Politisierung und Verankerung zu etablieren.

Auch wir haben versucht der sogenannten Corona-Krise mit einer Politisierung von links zu begegnen, etwa mit Aktionen vor einem DHL-Verteilzentrum, einem Krankenhaus und einem Altenheim. Zum 1. Mai und vor dem 3. Oktober haben wir mit Flyeraktionen den nationalistischen Kitt kritisiert und klassenkämpferische Positionen verbreitet. Wir haben mehrere Texte und Interviews veröffentlicht, Kundgebungen veranstaltet und uns an der Kampagne „Shutdown Schweinesystem“ beteiligt, welche die Öffentlichkeit um die Skandale in der Fleischindustrie nutzen wollte, um weiter Druck gegen das System der Werksverträge aufzubauen.

Trotzdem, das mediale Spektakel beherrschten relativ schnell die Corona-Leugner*innen. Das ist auch erstmal nicht verwunderlich – wie schon viele rechte Bewegungen zuvor wurde auch diese Bewegung von weiten Teilen der Medien „hochgeschrieben“ und genoss eine Fülle an Berichterstattung, von der linke Bewegungen und Organisationen in der Regel nur träumen können. Natürlich gab und gibt es außerdem auch Überschneidungen mit Kapitalinteressen, diese leugnen zwar das Virus nicht, aber gingen für ihre Profite schon immer über Leichen – warum also eine solche Fußtruppe nicht nutzen? Das führte bald dazu, dass die Corona-Leugner*innen eine Art Monopol auf die Kritik an staatlichen Maßnahmen innehatten.

Vor allem aber dienen die Corona-Leugner*innen auch als ein gutes Ablenkungsmanöver für den Staat: So richtig es ist, dass die Verschwörungsideolog*innen eine ernst zu nehmende Gefahr darstellen, die Infektionszahlen zu erhöhen und dies auch getan haben, so falsch ist es, einen großen Teil des Infektionsgeschehens auf sie zu schieben. Dem Staat kommt das aber aus dreierlei Gründen sehr gelegen. Zum einen richtet sich die Kritik dann kaum gegen die Fortführung der Lohnarbeit, die Zustände in der Pflege, die Öffnung der Schulen (damit Eltern weiterhin als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen) und der Geschäfte usw., zum anderen hat das auch zur Folge, dass jede vernünftige, linke Kritik an den Maßnahmen leicht als verrückt und verschwörungsideologisch abgetan wird. Und schlussendlich wird wenig bis gar nicht über die „ganz normalen“ politischen Schweinerein berichtet, wie bspw. geplante neue Befugnisse des Verfassungsschutzes.

Ohne Frage ist und war es richtig und wichtig, sich als Linke (1) den Corona-Leugner*innen in den Weg zu stellen, dabei haben Teile der Linken unserer Ansicht nach aber in der Auseinandersetzung mit dieser reaktionären Bewegung mehrere Fehler gemacht:

1. Teile der Linken fokussierten sich in den letzten Monaten in ihrer praktischen Arbeit hauptsächlich auf die Corona-Leugner*innen. Da die Linke in Deutschland zum einen relativ marginal ist und wir zum anderen alle über begrenzte Kapazitäten verfügen, hat das fast zwangsläufig zur Folge, dass eigene Positionen zum Thema „Corona-Krise“ kaum verbreitet werden können. Dabei ist es uns kein Anliegen, den antifaschistischen Protest gegen die Verschwörungsideolog*innen für unwichtig zu erklären, wir selber beteiligten uns daran und werden das auch weiterhin tun, es geht uns vielmehr darum, dass das Verhältnis eigener Positionen, deren Verbreitung durch Aktionen und Agitation sowie der Analyse der staatlichen Maßnahmen und die Auseinandersetzung mit den Corona-Leugner*innen wieder stimmt.

2. Oftmals wurde nur im Zusammenhang mit den Corona-Leugner*innen, bspw. im Rahmen einer Kundgebung, Kritik an den staatlichen Maßnahmen formuliert. Wenn das hauptsächlich in diesem Zusammenhang passiert, werden Corona-Leugner*innen fast zwangsläufig als einzige Kritiker*innen wahrgenommen, weil sich Linke an ihnen abarbeiten und oft nur dann mit ihrer Kritik in Erscheinung treten, wenn die Verschwörungsideolog*innen aufmarschieren und der Fokus der Öffentlichkeit auf ihnen liegt.

3. Die inhaltliche Kritik an den Corona-Leugner*innen darf sich nicht auf das Niveau herablassen, dass es sich bei den Verschwörungsideolog*innen um „Verrückte“ handelt. Natürlich sind dort wirklich seltsame Gestalten unterwegs, aber der Wettbewerb „Wer findet den durchgeknalltesten Verschwörungsideologen?“ wird diese Bewegung nicht aufhalten und hilft auch nicht, dieses Phänomen zu verstehen. Auch ist es nicht zielführend, diese Leute einfach schlicht als egoistisch zu bezeichnen. Es müsste vielmehr darum gehen, die Klassenzusammensetzung dieser Bewegung (an der Spitze finden sich in der Regel Kleinbürger*innen) wahrzunehmen und ins Verhältnis mit ihren Forderungen und ihrem Gefasel von Grundgesetz und Grundrechten zu setzen. Oftmals bedeuten diese nichts anderes, als wieder Geschäfte machen zu können bzw. die Grundlage dafür wieder herzustellen oder zu verbessern. Gepaart ist das Ganze dabei mit einer ordentlichen Portion Macho-Gehabe, dass das Virus den „starken Männern und ihrem Immunsystem“ nichts anhaben könne, die ohne die geschlechtsspezifische Zurichtung dieser Gesellschaft ebenfalls nicht erklärt werden kann.

4. Wird weder linke Kritik an den staatlichen Maßnahmen noch linke Kritik an den CoronaLeugner*innen laut und auf die Straße getragen, wird die Tendenz, alle linke Kritik an den staatlichen Maßnahmen als verrückt abzutun, gestärkt.

5. Schlussendlich sollte man sich hüten, rhetorisch oder inhaltlich in das „Wir sitzen alle im selben Boot“-Horn der Herrschenden zu stoßen. Das werden Linke wohl kaum bewusst machen. Aber der Staat redet nun mal aktuell immer wieder von „Solidarität“. Doch das können wir als Linke nicht einfach als populäre Worthülse übernehmen, ohne es mit konkreten Inhalten zu füllen. Denn seitens des Staats geht es dabei um die nationalistische Ideologie, nach der alle Deutschen jetzt zusammenhalten müssen. Diese dient dazu, die offensichtlichen Widersprüche, Ungerechtigkeiten und nicht zuletzt auch die Möglichkeit, sich widerständig zu zeigen, indem man z.B. nicht zur Arbeit geht und die eigene und die Gesundheit anderer gefährdet, zu begraben. Solidarität und solidarisch zu sein bedeutet aber eben nicht, sich ausschließlich in der Freizeit einzuschränken und weiter der Lohnarbeit nachzugehen, sondern es kann z.B. bedeuten, sich mit streikenden Pflegekräften solidarisch zu zeigen. Es bedeutet konkrete Hilfe und Politisierung der Krise.

6. Die Corona-Leugner*innen dürfen nicht dafür sorgen, dass die Linke keine eigenen Positionen mehr setzt und kaum wahrnehmbar ist. Die Verschwörungsideolog*innen dürfen für keine*n Linke*n das Ticket sein, Frieden mit der staatlichen Pandemie-Politik zu machen.

Aber warum sind die staatlichen Maßnahmen eigentlich von links zu kritisieren? Natürlich nicht, weil wir die Gefahren der Pandemie kleinreden und die Maßnahmen dahingehend als überzogen bezeichnen.

Seit Beginn der Pandemie und dem sich abzeichnenden zweiten „Lockdown“ nochmal verstärkt wurde staatlicherseits ein eigentlich sehr durchsichtiger Diskurs vorangetrieben, welcher den Gesundheitsschutz individualisierte und das Infektionsgeschehen weitestgehend an der Freizeitgestaltung festmachte. 50 Menschen in Fabrikhallen und Büros sind in Ordnung, Shoppen natürlich auch, aber wehe drei Leute sitzen auf einer Parkbank oder drei Kinder spielen auf einem Spielplatz. Auch die Schulen wurden so lange wie möglich offen gehalten, natürlich nicht, um Eltern und vor allem Frauen zu entlasten, sondern damit diese als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Die Botschaft war und ist auch weitestgehend: Lohnarbeit und damit Mehrwertschöpfung muss weiterlaufen, die Freizeit muss massiv eingeschränkt werden. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände als ein Vertreter des Kapitals sagt es eigentlich sehr deutlich: „Wenn schärfere Maßnahmen geplant werden, sollten wir vor allem über die Zeit nach Feierabend reden“. Aber auch die Tagesschau verdeutlicht mit ihrer Umfrage, was der Kurs der staatlichen Pandemie-Politik ist, gibt es hier doch zur Frage der Angemessenheit der Maßnahmen keinerlei Differenzierung zwischen Freizeit und Lohnarbeit. Für die Menschen bedeutet das, dass das meiste halbwegs Schöne oder zumindest Kompensierende verboten ist, aber alles Stressige, Beschissene, Demütigende weiterläuft (2).

Auch jetzt beim sehr verspäteten „Lockdown“ ist die Produktion weiterhin ausgenommen. Unternehmen werden lediglich gebeten in Erwägung zu ziehen, hier und da Home-Office anzumelden. Selbstverständlich infizieren sich aber Menschen auch auf der Arbeit oder auf dem Weg dahin in den zu kleinen und zu wenigen öffentlichen Verkehrsmitteln. Staat und Kapital tragen also einen großen Anteil an den steigenden Infektions- und Todeszahlen.

Aber auch konkret an den einzelnen Maßnahmen sollte deutlich werden, dass Linke für diese kein Lob übrighaben sollten. So ist die Gesundheitsversorgung seit Jahren zunehmend dem Zweck der Profitmaximierung unterworfen. Wo vorher schon keine ausreichende Versorgung möglich war, ist die Situation nun katastrophal. Menschen sterben, weil es nicht genug Personal, Kapazitäten und medizinisches Gerät gibt. Genauso zählt zu den staatlichen Maßnahmen Pflegekräfte weiterhin beschissen zu bezahlen, sie nun 12 Stunden arbeiten zu lassen und die Tatsache, dass sie auch infiziert zur Arbeit gehetzt werden können. Ebenso wie die Zustände in der Fleischindustrie und auf den Spargelfeldern, in den Geflüchtetenunterkünften und an den EU-Außengrenzen zu den staatlichen Maßnahmen zählen. Zusätzlich kommt dem Staat in der Pandemie besonders zupass, dass in aller Regel Frauen Haushalt, Kindererziehung und Sorgearbeit übernehmen.

Kurz: Die staatlichen Maßnahmen bedeuten, die Corona-Krise auf dem Rücken der Arbeiter*innenklasse und auf dem Rücken von Frauen abzuwälzen, um die Kapitalakkumulation so weit wie irgend möglich weiterlaufen zu lassen, welche ohnehin auch ohne Pandemie auf deren Ausbeutung beruht.
Dieser Staat ist weiterhin, auch in der Pandemie, Staat des Kapitals und handelt auch so.

Was tun?

Die Auseinandersetzung mit den Corona-Leugner*innen sollte klar in Opposition zum Staat geführt werden. Vor allem aber sollten wir als Linke in der Corona-Krise bzw. in der kommenden Wirtschaftskrise wieder verstärkt eigene Themen setzen und versuchen, uns selber bei der Arbeit, in der Schule oder in der Uni zu organisieren und andere dabei unterstützen. Wir sollten die Punkte, an die wir anknüpfen können, nutzen, um unsere Verankerung voran zu treiben. Zumindest symbolische Aktionen rund um den Pflegesektor, Paketdienste und Supermärkte sind leicht organisiert und leicht umsetzbar. Und natürlich sollten wir Rücksicht nehmen, natürlich kommt es auch auf individuelles Verhalten an, aber wir sollten immer gegen eine Individualisierung des Infektionsgeschehens argumentieren und die Produktionssphäre ins Visier nehmen.

Gesundheit für alle ist eine soziale Frage! Der Staat hat dabei seine Seite und die ist nicht unsere.
In diesem Sinne: Nicht staatstragend werden! Gegen Corona-Kapitalismus und Corona-Leugner*innen. Für echte Solidarität

(1) Hierzu zählen wir hier nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen.
(2) Das bedeutet natürlich nicht, dass wir der Meinung sind, dass es nicht weiterhin wichtig ist soziale Kontakte zu reduzieren.