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Interview: Pflegekraft in einem Altenheim

Wir haben Clara Mayer (Name geändert) zum Thema Pflege in der (Corona-)Krise interviewt. Clara Mayer ist staatlich anerkannte Altenpflegerin und arbeitet derzeit in einem Altenheim.

Likos: Stell dich doch kurz einmal vor.

C.M.: Ich bin Clara und ich bin examinierte Altenpflegerin, noch gar nicht so lange, erst seit zwei Monaten. Vorher habe ich die Ausbildung gemacht, war davor drei Jahre in der Betreuung von demenziell erkrankten Menschen beschäftigt und das in einer stationären Langzeitpflegeeinrichtung. Ich arbeite dort also schon seit ein paar Jahren, habe vorher Sozialwissenschaften studiert und habe dann aus Versehen mein Herz an die Pflege verloren.

Wie meinst du aus Versehen?

Das war nicht mein Plan. Nach einer Zeit Hartz 4, musste ich in diese Maßnahmen gehen – das war nicht so schön. Ich wollte dann schnell einen sozialversicherungspflichtigen Job, den ich dann in diesem Altenheim gefunden habe. Ich wollte eigentlich nicht lange bleiben und bin jetzt, glaube ich fast 6 Jahre da – ups. Mit meinem Master habe ich gemerkt, dass ich irgendwie keine sinnvolle Tätigkeit für mich finde. In der Pflege habe ich dann gemerkt, dass das eine sinnvolle Tätigkeit für diese Gesellschaft ist und dass ich das gut kann. Und ich finde es auch wichtig, dass Leute, die da arbeiten, diese Tätigkeit auch gut können und machen wollen.

Was hat deine Einrichtung seit beginn der Corona-Krise unternommen um Arbeitssicherheit herzustellen, um Sicherheit für die Bewohnerinnen herzustellen? Was gab es für Änderungen in den Abläufen und so weiter?

Tja das ist schon ein paar Monate her. Also am Anfang gab es ganz viel und ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie viel Spielraum mein Arbeitgeber oder die Einrichtung von sich aus da hatte, weil da ganz viel die Gesundheitsämter übernommen haben und quasi Regeln oder Normen aufgestellt haben, an die sich die stationären Einrichtungen zu halten hatten und haben. Erstmal kam niemand mehr so wirklich rein und niemand so wirklich raus von Bewohnerinnen und Angehörigen – Personal selbstverständlich.

So was wie gemeinsame Pausen wurden dann aufgehoben, denn sonst haben wir eher auch mit z.B. der Küche zusammen Pause gemacht, das wurde dann alles entzerrt. Auch Aufgaben, die sonst z.B. die Küche übernommen hat, wurden dann quasi auf die Pflege verschoben. Damit das Küchenpersonal nicht in jedes Zimmer gehen muss und so weiter. Also da hat man ein bisschen die Bewegungen entschleunigt. Ansonsten haben wir ein bisschen mehr Material zur Hygiene bekommen, aber eher auch sehr restriktiv. Das Personal hat auch angefangen Desinfektionsmittel mit nach Hause zu nehmen (lacht) – dann wurde das erst mal weggeschlossen. Wir arbeiten jetzt mit Maske und mehr Schutzkleidung, aber es ist auch immer wieder Thema, dass es halt auch einen Mangel gibt. Ich habe das jetzt so noch nicht erlebt, dass wir da standen und haben gar nichts bekommen aber unsere Pflegedienstleitung wird nicht müde zu erwähnen, dass der Markt leergefegt ist und dass die Preise sehr hoch sind. Wir fahren eigentlich Sparkurs, was aber jetzt nicht ein sonderlicher Unterschied zu vorher ist. Sparen mussten wir eigentlich immer – mit Corona oder ohne.

Wie gesagt, ich glaube die Einrichtungen haben da so Behörden im Hintergrund gehabt, die generell gesagt haben, wie das zu laufen hat. Es wurde jetzt aber alles mit den Monaten auch wieder gelockert. Wir wurden einmal getestet, das habe ich noch vergessen. Einen Abstrich haben wir bekommen- alle. Das war eine große Aktion. Aber das war eher zum Zweck sich einen Überblick in der Pflege zu verschaffen. Die wollten mal gucken, ob es bei uns genauso aussieht, wie in den Schlachthöfen. Einmal alle durch und dann gesehen – ist gar nicht so schlimm – und dann egal. Das war noch eine Maßnahme, die ich vergessen habe.

Wie ist das mit der Qualität von den eingesetzten Mitteln?

Die Qualität ja puh, mal so mal so. Also bei manchen Masken möchte ich ehrlich gesagt nicht wissen, wo die hergestellt wurden und wie und aus welchen Materialien, weil sie einfach im Gesicht anfangen zu jucken. Wir haben alle Pickel im Gesicht, unterm Kinn und so weiter, ja. Objektiv kann ich das nicht bewerten, was das für eine Qualität ist, subjektiv finde ich sie nicht gut. Es juckt und man kriegt Pickel.

Was wären denn in deinen Augen sinnvolle Schutzmaßnahmen gewesen?

Puh, ich weiß gar nicht, ob ich das so tatsächlich bewerten kann. Aber ich glaube, ich hätte es sinnvoller gefunden, dass nicht, so, wie ich es mitbekommen habe, jede Einrichtung mal wieder ihr eigenes Süppchen gekocht hätte. Das heißt, es gab gar keine Vernetzung um mal zu fragen: wie ist eigentlich euer Konzept z.B. um Besuche ermöglichen zu können? Wie geht ihr mit demenziell veränderten Menschen um, die die Situation überhaupt nicht erkennen können und für die das auch eigentlich gar nicht geht einen Angehörigen hinter so einer Scheibe zu sehen? Das ist eine sehr schwierige Situation und sich da mal so ein bisschen auszutauschen, das hat mir total gefehlt. Ich hätte mir natürlich auch eine größere Vernetzung oder einen größeren Austausch auch mit Angehörigen gewünscht. Irgendwie ist alles über die Köpfe hinweg entschieden worden. Aber es ist auch so schwierig das zu bewerten, weil ich meine, im Endeffekt: es ging sehr schnell und es mussten sehr schnell Entscheidungen getroffen werden. Mit mehr Personal kann man sowas natürlich besser stemmen, als mit so einer Personaldecke, die man generell in der Pflege hat.

In den Altenheimen sieht es natürlich noch düsterer aus, als in Krankenhäusern. Die Belastung wird dann halt immer höher, immer höher, immer höher, um bestimmte Standards zu erreichen und auch irgendwie allen gerecht zu werden. Ich meine bei diesem: niemand kommt mehr rein, niemand kommt mehr raus, das ist schon auch echt eine schwierige Angelegenheit, die immer ausgehandelt werden muss – Stichwort Freiheitsrechte – natürlich sind das selbstbestimmte Menschen in Altenheimen, die auch Entscheidungen für sich treffen können, aber sie leben da halt mit anderen Menschen zusammen, die vielleicht diese Entscheidung gerade nicht treffen können, wollen oder deren Entscheidung anders aussieht. Und irgendwie tragen alle füreinander eine Verantwortung. Und natürlich sind Angehörige auch eine Ressource für die Bewohnerinnen und Bewohner. Es wird dann echt schwierig, wenn die wegfallen. Dann fällt auch eine gesundheitliche Ressource weg. Aber ich muss sagen, bei uns im Altenheim gab es sehr sehr viel Verständnis dafür. Jetzt so gute Ratschläge, wie ich es hätte „besser“ machen können, habe ich nicht. Ehrlich gesagt, habe ich mir ja auch den Schuh nicht angezogen und darüber groß nachgedacht. Die Vernetzung untereinander wäre gut gewesen aber die fehlt nicht nur in Pandemielagen, sondern generell in der Pflege. Die Pflege ist total ungeplant und es macht alles keinen Sinn so richtig (lacht). Vernetzung innerhalb der Pflege zwischen verschiedenen Einrichtungen während der Corona-Krise, aber auch generell wäre so wichtig, das passiert gar nicht.

Hat sich, du hast es gerade auch schon so ein bisschen angedeutet, aber hat sich die Arbeitsbelastung seit beginn der Krise geändert?

Ja! Absolut! Also wie gesagt, die Pflege musste z.B. hauswirtschaftliche Tätigkeiten übernehmen. Wir haben dann angefangen Essen zu verteilen, was sonst irgendwie nicht unsere Aufgabe war. Wenn 20 oder 25 Personen auf einem Wohnbereich leben, kann das schon eine halbe Stunde mehr sein und wer in der Pflege arbeitet weiß, dass eine halbe Stunde ein riesengroßes Zeitfenster ist (lacht), welches dann am Ende fehlt. Wir mussten außerdem am Anfang engmaschig Vitalzeichenkontrolle machen: also Atmung kontrollieren, Fieber messen- das müssen wir jetzt immer noch machen; zweimal am Tag. Bei sagen wir 100 Menschen ist das halt ein immenser Aufwand. Und natürlich die Besuchsdienste: Die Angehörigen müssen in Empfang genommen und mit rein genommen werden. Dann muss man gucken das alles desinfiziert ist – also es ist eigentlich nicht alles möglich. Wir hatten am Anfang eine Person, die nur den Besuchsdienst gemacht hat, also die nur dafür da war. Aber selbstverständlich kann man das nicht auf lange Zeit halten, weil wir dafür gar nicht das Personal haben – eine Person abzustellen, die für ein paar Stunden nur für Angehörige kommt, die fehlt dann halt an anderer Stelle und jetzt gibt es die halt nicht mehr und jetzt ist Chaos.

Also die Türen sind immer noch zu, alle müssen sich anmelden aber diese Tür muss halt von irgendjemandem geöffnet werden und das trifft alle: das trifft die Pflege, das trifft die Verwaltung, das trifft die Küche, alle müssen rennen- das ist schon echt ein Zeitfresser. Vor allem die Angehörigenarbeit halt, Besuche ermöglichen oder die Infrastruktur am Laufen zu halten. Das ist alles sehr anstrengend. Es ist viel Lauferei. Und natürlich nehmen Angehörige der Pflege auch Arbeit ab. Manche reichen Essen mit einer Engelsgeduld an, wofür wir eigentlich gar keine Zeit, nein! für die wir keine Zeit haben, um das adäquat umzusetzen. Bei demenziell veränderten Personen – da sitzt man halt dann auch 30 Minuten und länger, um eine Mahlzeit anzureichen. Dafür hat man als Pflegekraft keine Zeit und wenn die Unterstützung dann fehlt, dann pflegt man entweder schlecht oder man kommt weinend nach Hause, weil man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht. Das hat sich auf jeden Fall verändert, ja, also es ist nochmal was drauf gekommen auf die sonstige Arbeitsbelastung.

Was ist viel im Gespräch auf der Arbeit unter Kolleginnen und Kollegen?

Eigentlich haben sich die Themen, finde ich, jetzt nicht großartig verändert, nur sind sie in einen anderen Kontext gerückt. Also wir reden über die Arbeitsbelastung, die vor Corona schon sehr hoch war. Dann ist Selbstbestimmung / Fremdbestimmung natürlich so ein Thema, obwohl das niemand bei mir auf der Arbeit so benennen würde. Aber gerade dieses: wie werde ich behandelt, wenn es um das Planen von Diensten geht, das Einspringen, das Dienste- Ändern ohne vorher gefragt zu werden usw.. Das ist auch ein Thema, was es vorher gab. Und auch die Verfügbarkeit von Pflegemitteln und Pflegehilfsmitteln wie z.B. Handschuhe etc. Also da haben wir vorher auch drüber gesprochen, wie ich vorhin schon gesagt habe: vorher mussten wir sparen und jetzt müssen wir irgendwie noch mehr sparen (lacht). Das hat sich durch Corona nicht verändert, eher verschärft.

Wie ist das mit Diskursen, die auch sonst so im Politischen gerade passieren auf der Arbeit?

Null! Darüber wird nicht geredet bzw. die Probleme, die wir haben, stellt niemand in einen politischen Kontext. Und wenn, dann halt so nach dem Motto: „DIE Politiker“ kriegen wieder irgendwas nicht hin, aber niemand sagt, was eigentlich nicht hingekriegt wird. Also es ist halt recht schwer, wenn man sich irgendwie über eine kapitalistische Welt nicht so richtig Gedanken macht oder die nicht analysiert oder es nicht versucht, dann kommt man halt recht schwer rum mit der Kritik. Wer ist jetzt daran Schuld, dass Silikonhandschuhe nur noch in China produziert werden und die jetzt nicht mehr hier herkommen oder wie auch immer. Also Insgesamt ist es schwierig –Politisieren tut es fast niemand, also – nö. Es sieht auch niemand einen systematischen oder systemischen Fehler in unseren Arbeitsbedingungen oder es kommt sehr selten vor, dass das passiert.

In der Pflege „verblöden“ viele Mitarbeiter*innen zudem auf Dauer, wenn sie unter all dem Stress ihren Job über Jahrzehnte stumpf ausführen und nicht die Gelegenheit zu Bildung und Weiterbildung erhalten. Die Pfleger*innen haben zu viel zu tun, unter schlechten Arbeitsbedingungen, was eine politische Organisierung sehr schwer macht. Sie arbeiten sehr viel sehr hart, dafür bekommen sie zu wenig Geld. Wenn sie nach Hause kommen müssen sie sich von der Arbeit erholen, da bleibt keine Zeit für politisches Aktiv-Werden. Und natürlich sind die meisten Fachkräfte in der Pflege Frauen – da bleibt nach dem Feierabend sowieso erst mal keine Zeit zum Erholen oder für Politisches, sondern da muss erst mal die Familie versorgt werden. bekocht, bespaßt, Sorgen anhören, für sie putzen, Wäsche waschen, etc..

Hast du Angst deine Lohnarbeitsstelle zu verlieren?

Nein. Gar nicht. Und wenn ich sie verliere – nein davor habe ich gar keine Angst, nee.

Und wenn du sie verlierst, du hast den Satz so angefangen, dann?

Ja, dann werde ich bestimmt etwas anderes finden, also ich habe gerade irgendwie einen Beruf, der sehr gefragt ist. Das kann sich natürlich in Jahren wieder ändern, aber derzeit habe ich keine Angst, nein. Im Gegenteil, aber wer weiß, wie es in 10 Jahren ist – keine Ahnung. Schauen wir mal, wie es mit der Pflege weitergeht.

Gibt es denn Überlegungen von dir oder von anderen bei dir zu kündigen aufgrund der Arbeitsbelastungen bzw. aufgrund der Entlohnung oder wegen anderer Gründe?

Also ich persönlich denke darüber nach zu kündigen, obwohl ich mir natürlich keine Illusionen mache, dass es jetzt woanders viel viel besser ist. Ich weiß aber: die Altenpflege ist in der „Nahrungskette“ ganz unten – kann man irgendwie nicht sagen, aber von den Arbeitsbedingungen und auch von der Entlohnung, ist die Altenpflege wirklich unterste Stufe in der Pflege. Ich will die Zustände halt auch irgendwie nicht unterstützen indem ich Bleibe. Weil, man hat keine Zeit für nichts und niemanden. Es ist so, man kann einfach weder Qualität, noch Fachlichkeit aufrecht erhalten, wenn man mit so einem Personalschlüssel arbeiten muss. Und naja streiken ist ja schwierig – in unserem Bereich, also bleibt ja eigentlich nur die Kündigung (lacht). Ich fand es zB total beeindruckend, dass in einer norddeutschen Klinik neun Hebammen auf einmal gekündigt haben, weil sie nicht nach Tarif bezahlt werden sollten. Da denke ich mir: super cool! (lacht). Ja, ich glaube so kann man halt Druck machen.

Ich glaube, viele meiner Kolleg*innen denken nicht darüber nach, weil sie halt auch wissen: bei uns ist es noch besser im Vergleich zu anderen Einrichtungen und sie möchten nicht die Gefahr eingehen, dass es sie noch schlechter trifft als jetzt (lacht). Aber das ist halt auch kein Einrichtungsproblem. Es ist ja ein generelles Problem. Ich kann ja auch meiner Chefin oder meiner Pflegedienstleitung persönlich überhaupt keinen Vorwurf machen. Wenn die was ändern könnten, würden sie es wahrscheinlich tun. Aber das Problem ist das System.

Stichwort Lohnhöhe. Wie ist das mit dem Bonus, also es sollte ja ein Bonus an die Altenpflege ausgezahlt werden und ich glaube aktuell wird auch noch überlegt, ob man das bei übrigen Pflegekräften in Krankenhäusern auch macht. Ist da was bei dir angekommen? Gibt es generell Gespräche über höhere Löhne oder irgendetwas in diese Richtung?

Ja, ich habe so einen Bonus bekommen. In der Zeit war ich noch Schülerin. Aber es war natürlich auch nicht so ein: alle Pflegekräfte kriegen jetzt ganz selbstverständlich einen Bonus, sondern das war natürlich ein riesengroßer Verwaltungsakt. Einfach geschenkt wurde da auch niemandem etwas. Du musstest nachweisen, dass du in dieser Zeit – ich weiß gar nicht was das für ein Zeitraum jetzt war– März bis Oktober oder so, dass du in der Altenpflege tätig warst und Teilzeitkräfte kriegen wieder weniger als Vollzeitkräfte und so weiter. Also da wurde dann quasi genau abgerechnet.

Ja gut und bei mir und auch bei den Kolleginnen war es dann so nach dem Motto: „ja, ist nett“ aber alle haben es mehr oder weniger als ein Schweigegeld begriffen. Richtig gefreut hat sich, glaube ich niemand darüber. Uns ist allen klar, dass eigentlich die Löhne hoch gehen sollten, anstatt so eine einmalige Prämie zu zahlen. Ja, und dass es natürlich nur ein Bereich der Pflege bekommen hat, das geht natürlich auch überhaupt nicht- verstehe ich auch gar nicht. Ich meine, na klar die Altenpflege wird am beschissensten bezahlt – von daher schön, dass sie an die Altenpflege zuerst gedacht haben, aber es macht halt mit der Begründung der Pandemie wenig Sinn für mich. Das dann nur auf einen Bereich zu beschränken. Und vor allem der größte Pflegedienst wurde sowieso bei der ganzen Sache vergessen und das sind Angehörige bzw. Frauen in den Familien, die die Leute Zuhause pflegen. An die wird, wenn man über Pflege redet, ja sowieso gar nicht gedacht. Es ist mir einfach wichtig zu betonen, dass die unbezahlte Arbeit aller Frauen als Mütter, Omas, (Schwieger-)Töchter oder auch ,der ohne Arbeitsvertrag beschäftigten Frauen aus Osteuropa überhaupt nicht in den Blick genommen wird- diese Frauen übernehmen ja eigentlich den Großteil der Sorge-Arbeiten.

Ach so und ob es die Lohnerhöhung geben soll? – ich glaube nicht, nee. Ich weiß nicht genau,wann die nächsten Tarifverhandlungen sind. Da wird das halt dann wieder entschieden.

Und trotzdem müsst ihr manchmal dafür kämpfen nach Tarif bezahlt zu werden, so wie die Hebammen.

Ja genau, also das ist natürlich von Einrichtung zu Einrichtung verschieden – die Frage ist ja, ist man bei einem privaten Anbieter oder anders – wie ich, beispielsweise über die Kirche angestellt. Die haben ja Tarife, aber das ist halt nicht überall gegeben. Es ist ja auch eine riesengroße Branche, die verschiedenste Anbieter hat und da gibt es auch die 24h-Stunden-Kräfte, die ohne Arbeitsvertrag in privaten Haushalten arbeiten und keiner weiß unter was für Bedingungen, keiner weiß, was das für Bezahlungen sind. Auch zumeist Frauen aus osteuropäischen Ländern, die da ausgebeutet werden. da gibt es alles – in der Pflege.

Wie ist das mit dem DGB bzw. in deinem Fall mit Verdi? Fühlst du dich gut vertreten durch Gewerkschaften in Deutschland oder eher nicht so?

Ja, eher nicht so. Also das Thema Gewerkschaft habe ich lange Zeit gar nicht für voll genommen, weil ich mir immer dachte: ok, Gewerkschaften machen ja eigentlich auch nichts mehr für die Leute bzw. wurde man ja auch ein bisschen von den Gewerkschaften verkauft. Das kann man ja fast schon so sagen. Ich würde sagen, ich bin ein politischer Mensch und habe nicht die Notwendigkeit gesehen, mich da in irgendeiner Art und Weise zu organisieren. Ich habe das jetzt gemacht, ich bin jetzt tatsächlich in Verdi eingetreten, aber weiß auch noch gar nicht, was ich damit jetzt genau mache. Was positives: Ich habe eine Rechtsfrage bezüglich meines Dienstplans gehabt und bin damit ich zu Verdi und das war total cool. Ich habe auch eine gute Antwort bekommen und – das ist schon mal was positives, aber was die Gewerkschaften machen, weiß ich nicht. Ist mir eigentlich auch egal, bringt ja offensichtlich auch nichts.

Zudem gibt es in der Ausbildung und auch im schulischen Teil der Ausbildung keine Informationen darüber, wie man sich als Pflegekräfte politisch für bessere Bedingungen einsetzen kann. Es gibt zwar Politik-Unterricht, aber da wird beispielsweise nur darüber gesprochen, welche Länder zur EU gehören, nicht aber, wie die politischen Ebenen von Pflege funktionieren, welche Rolle Geschlecht dabei einnimmt, wie Pflege organisiert ist, was die Pflegekräfte wie politisch ändern wollen würden und wie sie es machen könnten, etc. Das Hier Bildung fehlt und damit auch ein politisches Bewusstsein, merkt man an der ganzen Debatte um die Pflegekammer in Niedersachsen. Wenn die Pflegekräfte sich genauso widerständig gegen ihre beschissenen Arbeitsbedingungen und ihre schlechte Bezahlung verhalten hätten- das wäre großartig. Aber nein, dann lieber den eigenen Versuch einer Kammer nieder machen weil man ein paar Prozent vom Lohn abdrücken soll. Nicht falsch verstehen, für einige mag ein paar Prozent vom Lohn viel sein. Aber nicht die Pflegekammer ist das Problem sondern der niedrige Lohn- und gegen den sollten wir mobil machen.

Naja, außerdem finde ich dass, die Leute die in der Pflege arbeiten, die Menschen die in Pflegeeinrichtungen leben und auch die Angehörigen, die müssen das ja eigentlich alles mitgestalten. Und eine Gewerkschaft kann da cool dabei sein, aber eigentlich müsste es ja selbstverwaltet laufen. Meiner Meinung nach (lacht).

Was heißt das? Was verstehst du darunter?

So eine Selbstverwaltung? Tja, das frage ich mich auch oft selbst, wie das laufen kann. Aber das liegt auch mit daran, dass ich bis jetzt überhaupt keinen Überblick habe, wie Pflege überhaupt insgesamt organisiert ist. Schon nach Hierarchien, klar. Und da gibt es dann irgendwelche Verbände und kein Mensch blickt da durch- aber weder Pflegekräfte, noch Angehörige, noch Pflegebedürftige haben ja in irgend einer Art und Weise eine wirkliche Interessenvertretung. Ja, Verdi könnte z.B. als Interessenvertretung gewertet werden, aber weiß ich auch nicht – hat man nicht so das Gefühl.

Ich weiß halt nicht, ob man es lokal kleiner organisieren soll, also z.B. habe ich in der Ausbildung auch ein Praktikum, vier Wochen lang in einem ambulanten Pflegedienst gemacht und das ist alles so sinnlos. Also ich bin da auch mit diesem Pflegedienst wirklich von Osnabrück Nord nach Süd nach West, in die Dörfer drumherum und noch drei mal rum und ich meine davon gibt es ja zig ambulante Pflegedienste, die diese ganzen Wege ja auch fahren und ich denke mir so, kann das denn nicht anders organisiert sein? Das man irgendwie sinnvoller Pflege plant. Aber naja– so funktioniert der Markt halt nicht (lacht). Das man vielleicht Pflegedienste in Stadtteilen organisiert oder wie auch immer. Und dann eben auch mit Angehörigen und Pflegebedürftigen zusammen. Anstatt einen Rahmen zu geben und in den müssen alle passen. So ist es ja jetzt gerade und du kannst dir halt nur den Anbieter aussuchen. Aber woher der jetzt kommt und ob das sinnvoll ist, dass der jetzt 30 km zu mir fährt, das ist ja nochmal eine andere Frage. Ich fand es nicht sehr sinnvoll wie ambulante Pflegedienste arbeiten und organisiert sind. Also auch aus einem Blickwinkel wie: Müssen 15 Autos von A nach B durch die Stadt schippern ohne Plan – also das macht keinen Sinn.

Die Arbeitsorganisation ist ja auch für einfache Pflegekräfte total intransparent z.B. weiß ich nicht woher meine Einrichtung das Geld bekommt, um mich zu bezahlen. Da gibt es Leute, die machen das verwaltungstechnisch. Ich weiß es aber nicht wie das funktioniert, dass die Pflegekasse Gelder verteilt – also das ist ja auch ein riesengroßes Konstrukt, wo kaum jemand durchblickt.

Das heißt ihr kriegt auch keinen Überblick über die Bilanzen und über die Wirtschaftlichkeit eures Unternehmens als Altenheim?

Nee, also es gibt einmal im Jahr so eine Versammlung, da wird so ein bisschen über das wirtschaftliche „Standing“, ja wie auch immer gesprochen, weil wir kriegen ja auch je nachdem eine Jahressonderzahlung oder eben nicht – also so etwas kriegen wir dann halt gesagt. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht was bei uns ein Zimmer kostet. Bestimmt sehr viel (lacht).

Findest du es ok, dass du weiter arbeiten musst oder würdest du lieber Zuhause bleiben in der aktuellen Situation bzw. fühlst du dich ausreichend geschützt durch die Maßnahmen die deine Einrichtung getroffen hat?

Ja, also es ist auf jeden Fall eine Tätigkeit oder eine Arbeit,bei der, ich hatte es vorhin schon gesagt – schon streiken sehr schwer durchzuziehen ist. Natürlich muss man da hinkommen. Es gibt auf jeden Fall viele viele andere Arbeiten, die man auch einfach hätte sein lassen können, während des Lockdowns, die aber noch weiter gelaufen sind.

Was zum Beispiel?

Zum Beispiel so Lieferjobs: also DHL beispielsweise die hätten ruhig mal ein bisschen Zuhause bleiben können – zum Chillen, aber wahrscheinlich würden das andere Leute, die auf ihre Pakete warten anders sehen, Maler z.B., Maler hätten Zuhause bleiben können. Die Leute die auf dem Bau arbeiten, die hätten auch einfach Zuhause bleiben können. Also die Baubranche ist ja total unberührt weitergelaufen. Da war auf jeden Fall auch hohes Infektionspotenzial, was kein Schwein interessiert hat – kann man ja auch mal so sagen. Callcenter! Bekannte mussten noch jeden Tag ins scheiß Callcenter und niemand weiß warum – das man anderen Leuten noch einen sinnlosen Handyvertrag aufschwatzen muss. Ja, genau und diese Callcenter haben dann auch noch Desinfektionsmittel gehortet – super klasse (lacht)

Also ich weiß halt auch gar nicht, ob es in Osnabrück einen Plan gegeben hätte, wenn das jetzt echt eskaliert wäre. Dann hätte man auch das Einsetzen von Pflegekräften ganz anders planen müssen. In anderen Bereichen war es ja jetzt z.B. so, das ein Team zwei Wochen gearbeitet hat und die anderen haben Home-Office gemacht. Wenn die Infektionen eskaliert wären, keine Ahnung, ob es da einen Notfallplan gegeben hätte.

(Mit Unterstützung der antifaschistischen Hochschulinitiative Universität Osnabrück)