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Interview: Pflegekraft auf einer Intensivstation

Interviewpartnerin: examinierte Pflegekraft, 24 Jahre, tätig auf einer Intensivstation in einem Berliner Krankenhaus, arbeitet seit 2 Jahren auf der Intensivstation

Was hat Deine Firma seit Beginn der Krise unternommen, um Deine Arbeitsstelle „Corona- Sicher“ zu machen?

Anfangs hat nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das Unternehmen, die Situation nicht unbedingt ernstgenommen- „UNS“ würde die damals noch auf China begrenzte Epidemie nicht erreichen. Dann gab es, ich kann mich nicht mehr genau erinnern, Anfang März- Ende Februar ein Rundschreiben der Konzernleitung, dass keine Mundschutze mehr über den Einkauf abgerufen werden können. – Also die OP-Mundschutze aus Vlies – und, dass wir die jetzt sehr, sehr sorgfältig mehrfach verwenden sollten. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich also schon nur einen Mundschutz pro Dienst, obwohl ich eigentlich so, ich würde sagen, 10-15 Mundschutze pro Dienst benutzt hab. Wir durften die uns auch selbst nicht einteilen. Die wurden uns schon fast zugeteilt. Es lag immer nur eine kleine Anzahl draußen. Und das war so der erste Moment, wo man gemerkt hat, okay die Krise kommt doch zu „UNS“.

Wer hat die Mundschutze rationiert? Also wer hat die Anweisungen dazu gegeben?

Die obersten Leitungen, also Konzernführung. Also vermutlich vom Einkauf ausgegangen, wurde dann über den Chefarzt mitgeteilt, dass wir keine Mundschutze mehr so verwenden dürfen, wie wir sie vor einer Woche verwendet haben. Das war für mich der erste Moment, wo ich gemerkt habe, dass versucht wurde, den Laden „coronasicher“ zu machen. Aber eigentlich wurde alles nur „coronaunsicher“. Anfang März war es dann auch so, dass wir keine FFP-Masken mehr hatten. Und da hat man dann wirklich das Gefühl bekommen, ich bin überhaupt nicht mehr geschützt, das Unternehmen tut nicht wirklich etwas dafür, dass ich an meinem Arbeitsplatz „coronasicher“ arbeiten kann. Es war dann bspw. so, dass ich die beatmeten Influenza-Patient*innen nicht mehr mit einer FFP- Maske versorgen durfte. Hier durfte ich nur noch die OP-MNS verwenden. Auch war es schnell so, dass die Mundschutze im BTM- Schrank eingeschlossen wurden, wir mussten außerdem nahezu Rechenschaft bei den Führungen, also etwa pflegerische Stationsleitung oder Pflegedienstleitung, ablegen, für Wen und Wann wir einen Mundschutz verwendet haben. Auch durften wir dann bspw. bei den Corona-Verdachtsfällen keinen FFP-Mundschutz mehr tragen. Auch Die Reinigungskräfte sollten dann plötzlich nur noch mit FFP2 statt FFP3 Masken in die Corona-Zimmer. Da haben wir uns aber gegen gewehrt. Das war dann spätestens der Zeitpunkt, wo wir uns wie Menschen zweiter Klasse gefühlt haben. Dann kam auch noch ein Mangel an Schutzkitteln (Anm. Einmalkittel werden im Krankenhaus verwendet, wenn Kontakt zu infektiösen Patient*innen besteht, bspw. auch bei „Krankenhauskeimen“) auf, normalerweise werden die nach einmaliger Verwendung verworfen werden. Wir durften dann aber nur noch einen Kittel pro Dienst und Patientenkohorte verwenden. Eine Kohorte umfasste so ca. 3 Patient*innen. Darüber sollten wir dann Plastikschürzen tragen, um zwischen den einzelnen Bettplätzen zu wechseln. Wenn wir dann eine Kohorte verlassen haben, das waren immer zwei Zimmer die über eine Schleuse (Anm. kleiner „Flur“) verbunden waren, gab es Anweisungen wie wir die Kittel auszuziehen haben und bis zum nächsten Einsatz in der Schleuse zu verwahren hatte. Problem hierbei ist, die Kittel sind gerade bei größeren Kolleg*innen gerissen, es handelt sich ja eigentlich um Wegwerfprodukte in Einheitsgröße. Wir habend dann angefangen, die Kittel mit Klebeband zu kleben, wir hatten ja einfach keine Kittel. Wir haben ja schließlich schwere körperliche Arbeit zu verrichten, da bleibt es nicht aus, dass man mal am Bett oder so hängen bleibt.

Ende März war es dann so, dass die elektiven Operationen und Behandlungen (alle Behandlungen die nicht sofort erfolgen müssen, keine Notfälle sind, bspw. Hüftprothesen o.ä.) massiv runtergefahren wurden. Es war dann so, dass ich die Corona-Zimmer vorbereitet habe. Wir haben überlegt, was wir für Vorkehrungen treffen können. Es musste ja organisert werden, dass möglichst wenig Verbindung zwischen den Pflegekräften in den Covid-Zimmern und den anderen außerhalb der Zimmer stattfindet. Wir haben uns abgesprochen, wie wir durch die Scheiben kommunizieren können. Wir haben Informationen vorbereitet und ausgedruckt. Ich habe dann den Vorschlag geäußert, dass wir Intubationsnotsets vorbereiten, so dass wir im Notfall die Covid-Patient*innen schnell intubieren können, um eine Beatmung sicherzustellen. Normalerweise haben wir nämlich sogenannte „Intubations-Wägen“, dort befindet sich alles Material, was wir für eine Intubation benötigen, aber die durften wir natürlich nicht mitnehmen, da die Covid-Zimmer ja Isolationszimmer sind. Wir haben dann auch angefangen über Zettel zu kommunizieren, wir Pflegekräfte in den Isolationszimmern haben auf Zettel geschrieben, was wir brauchen und haben die Zettel an die Scheibe gehalten. So konnten dann die Pflegekräfte draußen uns die benötigten Materialien in die Schleuse legen. Es war dann so, dass wir ab Ende März personal von den peripheren Stationen bekommen haben. Die haben dann den Job übernommen, den Pflegekräften in den Isolationszimmern von außen zu helfen. Man konnte die auch gar nicht anders einsetzen, weil das Personal der peripheren Stationen (das meint alle Stationen, die keine Intensivmedizin oder Intermediate Care -auf IMC-Stationen werden die Vitalfunktionen der Patient*innen mittels Monitoring überwacht) einfach nicht viel mehr machen kann , bei uns auf Intensiv. Auf den peripheren Stationen gibt es bspw. keine kontinuierliche Infusionstherapie, dort laufen Infusionen nur über gewisse Zeiträume. Es gibt dort auch einen ganz anderen Personalschlüssel, weil der pflegerisch-medizinische Aufwand geringer ist, als auf Intensiv. Aber es war dann zumindest so, dass uns Intensivpersonal das ständige Aus- und Ankleiden der Schutzausrüstung erspart blieb, denn das An- und Ausziehen birgt immer die Gefahr der Kontamination. Aber problematisch war, dass wir bei vielen Handlungen eben doch nicht auf das Personal der Normalstationen zurückgreifen konnten. In der Intensivtherapie gibt es viele Vorschriften, die eingehalten werden müssen. Wir kennen diese Vorgaben, etwa wie Medikament XY aufzuziehen ist, so dass die Konzentration dann ganz genau stimmt und keine Patientengefährdung eintritt. Das wissen die Anderen aber nicht und somit war die Unterstützung einfach beschränkt. Es war uns einfach zu riskant, denn das Personal war ja nicht eingearbeitet. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich über diese Unterstützung nicht dankbar gewesen wäre, aber das Personal der peripheren Stationen kann die Auswirkungen auf die Patient*innen einfach nicht abschätzen. Es war aber, glaube ich, auch sehr belastend für dieses Personal – es muss ein komisches Gefühl sein, auf einer Intensivstation zu arbeiten, wenn man von der Arbeit eigentlich keine Ahnung hat. Es war dann bspw. auch so, dass keine Besucher*innen mehr auf die Stationen kommen durften. Es gab dann Security-Mitarbeiter an allen Eingängen, wir haben dann auch später auch Mitarbeiter-Ausweise in Form einer Scheckkarte bekommen.

Insgesamt gab es immer wieder Mangel an FFP-Masken, ich habe auf einer Level 2 Station gearbeitet. Das bedeutet, dass Corona-Patient*innen in der Klinik in der ich gearbeitet habe, intensivmedizinisch und auf den Normalstationen versorgt wurden. Die Level 1 Klinik ist in Berlin die Charité. Dort finden auch die ECMOs statt (Anm. Die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) und die extrakorporale Lungenunterstützung (ECLA) sind intensivmedizinische Techniken, bei denen eine Maschine teilweise oder vollständig die Atemfunktion von Patienten übernimmt. Über einen Katheter (der ca. so dick ist wie ein Zeigefinger einer Frau) wird kontinuierlich das sauerstoffarme Blut aus dem Körper geleitet, innerhalb des Gerätes kommt es an der Membran dann zur Anreicherung mit Sauerstoff und zur Abgabe des Kohlenstoffdioxides. Es gibt verschiedene Methoden, je nachdem wie die Herzfunktion der Patient*innen ist. Dabei wird die Lunge aber weiterhin beatmet, damit die Lungenfunktion nicht gänzlich zugrunde geht.) In Berlin können diese spezielle Form der Beatmung nur wenige Klinka (alle Standorte der Charité, Deutsches Herzzentrum und 2 Vivantes Häuser). Praktisch bedeutet das, dass wir die Patient*innen so lange versorgt haben, bis wir mit unserem Equipment an die Grenzen geraten sind. Die ECMO erfordert neben verschieden ärztlichen Fachdisziplinen v.a. auch speziell geschultes Pflegepersonal, davon gibt es viel zu wenige.

Erst Mitte Mai hat man dann bemerkt, dass die Versorgungslage mit Materialien besser wurde. Aber in den zwei Monaten ohne ausreichend Material haben wir vielerlei Tricks entwickelt. So haben wir z.B. dann Nierenschalen benutzt, um die FFP-3 Maske abzustreifen, ohne sie anfassen zu müssen. Irgendwann mussten wir unsere FFP-3 Masken in Briefumschlägen lagern, versehen mit unserem Namen und Datum. Damit mussten die FFP3 Masken dann auch in den Steri geschickt werden, damit diese dort aufbereitet werden konnten. Das war schon ein sehr komisches Gefühl, schließlich sind die FFP3-Masken Einmalprodukte, die eigentlich nur max. 1-2h verwendet werden und danach im Müll landen.

Es wird ja oft davon gesprochen, dass nun alles „Corona-sicher“ gemacht werden muss. Ich habe aber das Gefühl, dass es „Corona-Unsicher“ genannt werden sollte. So wurden die Hygienerichtlinien etwa für andere Erreger immer weiter heruntergefahren, z.B. die 4-MRGN- Patient*innen (4-MRGN= Bakterien mit Resistenzen gegen 4 Gruppen der Antibiotika) wurden plötzlich nur noch mit Handschuhen versorgt, obwohl diese Patient*innen im Normalfall genauso isoliert werden wie die Covid-Patient*innen (Es wird nur anstatt der FFP Maske ein chirurgischer MNS getragen). Das war erschreckend und alles nur, weil das RKI die Vorgaben immer mehr aufgeweicht hat. Credo war: „Desinfiziere einfach deine Arme ordentlich, das reicht schon.“ Es besteht also die reelle Gefahr, dass ich mich etwa im Nase-Rachen-Raum mit einem 4-MRGN Erreger infiziert habe.

Wie kommst Du im Moment auf die Arbeit?

Ich fahre seit Anfang der Pandemie nur noch mit dem Fahrrad auf Arbeit, auch bei Nachtdiensten. Es ist mir einfach zu gefährlich. Ich möchte mich und Andere nicht gefährden. Die Monatskarte bezahle ich aber trotzdem noch.

Hat sich die Arbeitsbelastung seit Beginn der Krise geändert?

Die Lage hat sich durch die Pandemie nochmal deutlich verschärft. Es ist ja eigentlich bekannt, dass wir auf den Intensivstationen zu wenig Personal haben. Eigentlich ist ja Anfang des Jahres das Pflegepersonal-Untergrenzen-Gesetz in Kraft getreten. Diese Untergrenzen mussten dann aber plötzlich nicht mehr eingehalten werden, auf Verordnung des BGM hin. So musste ich eigentlich nur zwei isolierte Patient*innen versorgen, nach Geheiß des BGM waren es dann plötzlich wieder drei Schwerstkranke und beatmete Patient*innen. Die Schwere der Covid-Verläufe ist dabei auch kein Alltag auf Intensiv. Ich habe vom 21.März bis 30. Mai ausschließlich Corona-Patient*innen versorgt. Ich habe den damals den ersten Corona-Patienten und auch den letzten Corona-Patienten versorgt. Es war meine eigene Entscheidung, ich wollte den Kontakt zu den „Normalpatienten“ ausschließen und auch war ich die jüngste Kollegin im Team. Ich hätte ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich meine über 60-jährigen Kolleg*innen zu den Covid-Patient*innen geschickt hätte. Es ist ja bekannt, dass die Verläufe bei Älteren viel schlechter sind. Es war aber nicht so, dass es durch meinen Arbeitgeber irgendwelche Vorgaben gab, welches Pflegepersonal die Versorgung übernehmen sollte. Es gab bei uns dann die Corona-Gruppe, wir waren Pflegepersonal, was versucht hat die Situation irgendwie zu lösen. Es gab aber auch andere Kolleg*innen die sich der Situation vollkommen entzogen haben und sich auch geweigert haben, Corona- Patient*innen zu versorgen.

Worüber wird grade auf Arbeit viel gesprochen?

Momentan sind die Corona-Leugner*innen ein großes Thema und natürlich die zweite Welle, also wie wird gesellschaftlich mit der Pandemie umgegangen. Auch das alberne Klatschen für die Pflegekräfte und das nun unsere Lage niemanden mehr interessiert, ist ein großes Thema. Aber insgesamt merke ich, dass wir weniger Angst haben als Beginn der Pandemie. Wir haben gelernt, dass wir auch Covid-Patient*innen adäquat versorgen können. Auch wenn natürlich leider Covid-Patient*innen versterben.

Hast Du Angst Deine Lohnarbeitsstelle zu verlieren?

Nein, gar nicht.

Wie werden gerade Deine Kinder betreut?

Ich habe keine Kinder. Aber ich habe von meinen Kolleg*innen nur Gutes gehört, der Konzern hat sehr schnell dafür gesorgt, dass es eine Kindernotbetreuung

Hat sich was an Deiner Lohnhöhe geändert?

Kurzweilig ja, in den Monaten April, Mai und Juni habe ich jeweils die 150€ Corona-Prämie bekommen. Die waren dann auch abgabenfrei. Aber halt nur drei Monate.

Findest Du es ok, dass Du weiterarbeiten musst oder würdest Du lieber zu Hause bleiben?

Ich finde es prinzipiell okay, weiterzuarbeiten. Natürlich hatte ich am Anfang diese Gedanken, wie dass ich den Beruf ja mal nicht ergriffen habe, um in einer Pandemiesitaution an vorderster Front zu stehen, ich habe mich aber schnell damit abgefunden. Was ich nicht okay finde, ist, dass etwa die gesamte Gesellschaft durch zu Hause bleiben und ähnliches geschützt werden soll und ich direkt an vorderster Front stehe und nicht genügend Schutzmaterialien gibt. Ich habe mich aber entschieden, dass wenn es kein Schutzmaterial mehr gibt, werde ich nicht arbeiten. Ich habe keinen Eid geschworen und werde meine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen.

Die Zahlen der Akut-Infizierten steigt wieder, wie fühlst du dich aktuell?

Gerade fühle ich mich halbwegs sicher. Wir haben einiges gelernt in den vergangenen Monaten. Und ich bin entspannter in der Versorgung der Patienten. Ich setze Covid19 gleich mit Influenza oder Tuberkulose in meiner Arbeit und meiner Hygiene. Ich denke, dass die bekannten Hygienemaßnahmen, wie Desinfektion und Abzug der Luft in den Patientenzimmer und das Tragen einer FFP3 Maske gut funktionieren. Auch, dass das gesamte Personal in der Klinik durchgehend einen Mund-Nasenschutz trägt, gibt ein sicheres Gefühl. Genügend Material ist in diesem Moment auch da. Jedoch ist es sehr merkwürdig, dass Schutzmaterialien aus China zugelassen werden, auf denen ich nicht so recht erkennen kann, welcher Kategorie sie angehört oder auf den Materialien in Englisch steht, dass sie nicht für den klinischen Gebrauch zulässig sind. Schon auf Station sehe ich große Einlagerungen mit Material. Wie es in den großen Lagern aussehe, kann ich nicht sagen, aber ich verlasse mich gerade auf meinen Arbeitgeber. Auch, dass gerade/heute an diesem Tag noch Kapazitäten in den Krankenhäusern, selbst auf meiner Station, vorhanden ist, beruhigt mich. Trotzdem schwebt im Hintergrund immer eine Verunsicherung, was in den nächsten Wochen kommt.

(Mit Unterstützung der antifaschistischen Hochschulinitiative Universität Osnabrück)

https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/die-berliner-intensivstationen-fuellen-sich-mit-corona-patienten-li.79635

https://www.infektionsschutz.de/erregersteckbriefe/mrgn.html