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Moria und europäische Verhältnisse

Redebeitrag auf der Demo am 24.10.2020.

Moria ist der vorerst menschenfeindliche Höhepunkt der deutschen und europäischen Migrationspolitik. Die Eskalation der sozialen Situation auf den griechischen Inseln ist die Folge einer menschenfeindlichen deutschen und europäischen Sparpolitik. Inseln auf denen sonst wenige 10.000 Menschen leben, in denen es keine entsprechende Infrastruktur, also Wasser- und Abwasserversorgung, Müllabfuhr, medizinische Versorgung gibt, müssen seit Jahren tausende Menschen in Lagern versorgen. Die griechische Bevölkerung, die selbst oft nicht genügend Geld für billigste Herzmedikamente oder Insulin hat, wird in der deutschen Betrachtung gerne vergessen. Dabei ist es der deutsche Staat und das deutsche Kapital, welche Griechenland einer brutalen Sparpolitik unterworfen haben.

Die deutsche Politiklandschaft möchte sich hingegen gerne zum Retter der Geflüchteten aufspielen. Hier mal 40 Jugendliche und dort 20 Frauen aus den Lagern zu retten, wird als humanitäres Nonplusultra verkauft. Hierdurch wird das rassistisches Narrativ alleinflüchtender Männer, die dann angeblich in Deutschland kriminell werden, weiter befeuert. Die Ursachen von Flucht und Vertreibung werden dabei systematisch verschleiert. Die Wirtschaft der Industriestaaten ist eine der größten Fluchtursachen.
Der Zerfall der sogenannten „Dritten Welt“ und die daraus folgenden militärischen und para- militärischen Konflikte sind nicht zu trennen vom Kapitalismus und damit auch nicht von den Regierungen der EU-Staaten.

Für die Menschen in den Regionen und für Geflüchtete bedeutet das die Hölle. Sie sind Opfer von Krieg, Hunger und Umweltzerstörung oder werden eingepfercht in Lagern wie Moria, ertrinken im Mittelmeer oder werden ermordet. Für Frauen ist dieses Leben nochmal besonders gefährlich. Vergewaltigung ist heute eine der größten Gefahren für Frauen in instabilen Gebieten. Selbst der UN-Generalmajor Patrick Cammaert sagte bereits vor über 10 Jahren, es sei in modernen Konflikten gefährlicher eine Frau zu sein, als ein Soldat.

In Staaten wie Kolumbien, Irak, Nigeria oder der zentralafrikanischen Republik sind es staatliche Akteure, welche sexualisierte Gewalt als kriegerisches Mittel einsetzen. In Syrien, Libyen, dem Sudan, Südsudan, Mali, der demokratischen Republik Kongo, Somalia und Afghanistan sind es laut UN-Bericht hingegen staatliche und nicht-staatliche Akteure. Im Jemen und Burundi kann bisher keine Tätergruppe identifiziert werden. Bei dieser Aufzählung handelt es sich nur um gesicherte Berichte, die die UN veröffentlicht hat.

Auch die Flucht ist für Frauen gekennzeichnet von patriarchaler Gewalt und oftmals einer Abhängigkeit von Männern. Und vielen Frauen bleibt keine andere Möglichkeit, als in den patriarchal strukturierten Familienverbänden zu verbleiben. Die Gefahr, dass sie auf der Flucht vergewaltigt, verschleppt und ermordet werden, ist einfach zu hoch. Das endet auch in Deutschland nicht. Auch hierzulande verstärkt die zentrale Unterbringung von Geflüchteten patriarchale Gewalt. Dabei geht es uns ums Patriarchat als gesellschaftliche Struktur und nicht um die Herkunft – oder anders: Würde man das Oktoberfest in ein Lager sperren, würde die patriarchale Gewalt ebenso steigen.

Wir dürfen die Errungenschaften einer bürgerlichen Frauenemanzipation, wie sie hierzulande herrscht, nicht überbewerten. Gleichzeitig dürfen wir in der Analyse jedoch auch nicht vergessen, dass diese Errungenschaften Ressourcen für das Leben von Frauen sind. Nur eine trennscharfe Unterscheidung macht eine internationale, antirassistische Frauenbefreiung möglich und kann gleichzeitig den rechten Pseudofeminismus enttarnen.

Dass es der EU oder Deutschland nicht um Menschenrechte oder Frauenrechte geht sollte mittlerweile eigentlich klar sein. Dann würde man nicht in Folter- und Vergewaltigungslager in Libyen abschieben oder Push-Backs fördern und durchführen. Würde die EU irgendeinen humanistischen Zweck haben, würde sie nicht mit islamistisch-faschistischen Kräften wie Erdogan zusammenarbeiten, der die Grenzen nach Europa dichtgemacht hat und einen Krieg gegen kurdische linke Kräfte führt.

Es geht bei der Migrationspolitik und das wird von den Herrschenden auch seit Jahren immer klarer formuliert um Arbeitskräfte, die profitabel verwertbar sind und um geostrategische Interessen. Das bedeutet nicht, dass wir nichts tun können, natürlich kann Protest Druck aufbauen, schließlich wird sich ja von Teilen der Herrschenden noch um einen humanen Anstrich bemüht. Und wir können und sollten ganz praktisch solidarisch sein: Abschiebungen verhindern, Menschen verstecken und selber Strukturen gegen staatliche und patriarchale Gewalt aufbauen. Auch Hilfe in Form von Geldmitteln, sollte direkt erfolgen. Es gibt genügend emanzipatorische Gruppen, die direkt an den europäischen Außengrenzen helfen. Große Organisationen, wie etwa Caritas Österreich haben hingegen Millionen Euro für Moria gesammelt, ohne bisher nachweisen zu können, wohin dieses Geld fließt. Vor allem sollten wir und das gilt eigentlich für jedes Thema, einer Spaltung und einer Kostenrechnung immer eine klare Absage erteilen.

https://katapult-magazin.de/de/artikel/artikel/fulltext/in-modernen-konflikten-ist-es- gefaehrlicher-eine-frau-zu-sein-als-ein-soldat/
https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2020/10/moria-und-die-millionen-der- caritas- austria
AutorIn/Hrsg.: Linkerhand, Koschka
Titel: Mörderische Männlichkeit
Untertitel: Überlegungen zum transnationalen Kampf gegen Frauenmorde. Zweiter Teil
Verlag: konkret
Ausgabe: 09/2020, Seite: S. 21-23