Reaktion zum NOZ-Artikel über unsere Veranstaltung „G20 – Was war, was ist, was kommt danach?“ mit Jutta Ditfurth.
Erschienen am 02.10.2017
Hendrik Steinkuhl, Lohnschreiber für die Neue Osnabrücker Zeitung, brauchte zwei Tage, um seine Darstellung der Veranstaltung „G20 – Was war, was ist, was kommt danach?“ mit Jutta Ditfurth ins Blatt zu bringen. Leider führte die zusätzliche Zeit nicht zu einer der Referentin und ihren Ausführungen gerecht werdenden Besprechung, sondern höchstens zu einer maximalen Anpassung an die NOZ Redaktionslinie.
Folgt mensch Steinkuhls Schilderung, so ist Frau Ditfurth eine alarmistische, humorlose, dogmatische Rechthaberin, der höchstens zugute gehalten werden kann, dass ihre gesellschaftskritischen Analysen eine gewisse innere Kohärenz aufweisen und „(…) ein paar interessante Denkanstöße (…)“ liefern. Im Stile eines Kulturkritikers daherkommend, bemängelt Steinkuhl eingangs, bei Ditfurth fehlten „leise Töne“, auch „gelegentliches Zögern, Zweifeln“ und ein gesitteter Verzicht auf Polemik gingen ihr ab.
Was solch pastorale, versöhnlerische Ausdrucksformen in einem gründlich vorbereiteten politischen Vortrag über die bedrohliche Rechtsentwicklung der deutschen Gesellschaft und die diese Tendenz zum Ausdruck bringende brutale Repression beim G20-Treffen zu suchen haben könnten, erklärt der NOZ-Berichterstatter zwar nicht, dafür entheben die Vorwürfe ihn aber der Notwendigkeit, seinen LeserInnen die vorgebrachten Positionen konkret zu schildern.
Für ihn, der sich nicht einmal die Zeit nahm, mehr als die Hälfte des Vortrages zu hören (man könnte ja nachfragen und das in seinem Artikel verarbeiten), schnurrt dessen Inhalt ohnehin auf Ditfurths Äußerung zusammen, dass sich Deutschland aktuell in einer Vorphase des Faschismus befindet, eine Einschätzung, die er entschieden zurückweist, jedoch ohne den Gang der Argumentation auch nur darzustellen, geschweige denn zu widerlegen.
Es wäre Steinkuhl auch schwer gefallen, Ditfurths chronologische Schilderung der Rechtsverschiebung, ihre sozialpsychologische Einordnung der Rolle der Weltwirtschafts- und Eurokrise, die entlarvenden Biographien und Zitate von Sarrazin, Gauland und Co. aufzugreifen, ohne der Referentin in weiten Teilen zustimmen zu müssen. Statt solch einen Frevel gegen die Verlagspolitik der NOZ zu begehen, dreht er die von Frau Ditfurth vorgenommene Einordnung der Paulskirchenrede Martin Walsers und deren begeisterte Aufnahme bei den deutschen Eliten durch die Mangel der postmodernen Beliebigkeit und bastelt folgende Absurdität zusammen: „Nun ist jede Beschreibung von historischer Kontinuität ein Narrativ, also eine willkürliche Erzählung, die auf nichts anderem als der persönlichen Interpretation beruht. Und Jutta Ditfurths Diagnose, Deutschland befinde sich auf dem direkten Rückweg in den Faschismus, darf guten Gewissens als völlig überzogen bezeichnet werden.“
Wie beruhigend für das „gute Gewissen“ des kleinbürgerlichen Lohntexters und seines in selbstzufriedener ideologischer Umnachtung gebannten Zielpublikums, dass eine die eigenen Glaubenssätze von der ewigen Stabilität der “Freiheitlich Demokratischen Grundordnung“ und der Externalität des Faschismus zu diesen Verhältnissen in Frage stellende Analyse ohne weitere Auseinandersetzung als willkürliche individuelle Phantasie einer „Alt-Linken“ abgekanzelt werden kann. Steinkuhls auf ein „anything goes“ hinauslaufende Karikatur der soziologischen und historiographischen Beschäftigung mit dem Zeitgeschehen ist eine billige Immunisierungsstrategie, bar aller Logik. Denn wer jeden Versuch, soziale und politische Entwicklungstendenzen aufzuzeigen zum „Narrativ“ wie Steinkuhl es versteht, also zur rein subjektiven Interpretation, relativiert, redet nicht nur einer allgemeinen Unfähigkeit zur Erkenntnis das Wort, sondern verfängt sich im Selbstwiderspruch – schließlich läuft die Ablehnung des ditfurthschen „Narratives“ zwangsläufig darauf hinaus, ihm ein steinkuhlsches entgegenzusetzen, welches ebenso relativ und subjektiv wäre wie Ersteres.
Ob die sich anschließende, etwas harmloser erscheinende Charakterisierung von Jutta Ditfurths Gesellschaftskritik als „(…) immer ein paar Oktaven zu hoch (…)“ lediglich ein Rückfall in die geschmäcklerisch verschleiernde Vermeidung inhaltlicher Konfrontation ist, oder ein codierter sexistischer Angriff auf eine mutige linksradikale Feministin, die von Mackern aller Art regelmäßig als „schrille Emanze“ bezeichnet wird, kann hier nicht mit Sicherheit gesagt werden, überraschen würde Letzteres jedoch keinesfalls. Wie bei nahezu allen NOZ Artikeln, die sich mit der radikalen Linken beschäftigen, darf zum Schluss eine extremismustheoretische Breitseite nicht fehlen: „Wenn Jutta Ditfurth völlig selbstverständlich in Räumen der Universität Osnabrück auftritt, müsste das gleiche Privileg dann auch einem AfD-Politiker oder einem Alt-Burschenschaftler gewährt werden?“
Steinkuhl scheint sicher zu sein, dass der alte intellektuelle Taschenspielertrick einer gleichsetzenden Absonderung der „Extremisten“ aus der Position einer imaginären „Mitte“ heraus auch noch in Zeiten funktioniert, in denen diese „Mitte“ nicht nur in ihren Basispositionen wie Kapitalismus, Standortnationalismus, Sozialchauvinismus und Sexismus reaktionär ist, sondern ganz offen Rassismus, Militarismus und vermehrt auch völkisches Denken vertritt.
Leider wird er wohl zunächst Recht behalten, nicht zuletzt, weil er selbst die zutiefst humanistischen, soziale Gleichheit und maximale Entwicklung des emanzipierten Individuums einfordernden Positionen Ditfurths mit keinem Wort erwähnt. Bei den meisten NOZ Lesern wird der Eindruck erneut gefestigt werden, dass zwischen Jutta Ditfurth und dem Faschisten Björn Höcke nicht Welten liegen, sondern sie sich an den Enden des „Hufeisens“ nahe stehen, beide gleich inakzeptabel für „gute Deutsche“. Ganz im Sinne der medialen Reproduktion des Status Quo unterm Kapitalismus wurde hier eine Berichterstattung durchexerziert, die sich mit kritischen Inhalten nicht auseinandersetzt, sondern sich moralisierend auf deren äußere Form wirft, anti-materialistische Beliebigkeit predigt und doch die eigenen Axiome (Kapitalismus, Patriarchat, Staat, Herrschaft) eisern verteidigt.
Hendrik Steinkuhl kann selbstzufrieden ein „Auftrag ausgeführt!“ in die Redaktion melden, er hat getan, wofür er vom NOZ-Kapital ausgehalten wird. Und wir KritikerInnen dieser Verhältnisse sind erneut darauf verwiesen, warum unabhängige linksradikale Medien und eine mit ihnen verwobene breite Gegenöffentlichkeit so zentral sind, wenn wir langfristig aus der gesellschaftlichen Isolation herauskommen wollen.
Autonome Medien organisieren, bürgerliche Hegemonie bekämpfen!