Am Samstag den 15.11. organisierte das Bündnis „Osnabrück für alle“ eine Demonstration unter dem Motto „Die Städte denen, die dort leben“. Die Demonstration richtet sich gegen die Verdrängungs- und Überwachungspolitik seitens der Stadt Osnabrück in und um der Johannisstraße. Wir hielten dort folgenden Redebeitrag:
Liebe Leute,
ich stehe hier als Vertreterin der Libertären Kommunist:innen Osnabrück.
Wir möchten in diesem Beitrag vor allem auf die geplante Reform des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz eingehen.
Die Niedersächsische Staatskanzlei veröffentlichte im vergangenen August die vom Landeskabinett geplanten Änderungen. Darin heißt es unter anderem:
„Durch die intelligente Videoüberwachung könnten zukünftig in Videoaufzeichnungen aufgrund bestimmter Verhaltens- oder Objektmuster automatisiert bestimmte Gefahrensituationen in Echtzeit erkannt werden, die auf die Begehung von Straftaten hindeuten“.
Daraus ergeben sich schwerwiegende Folgen, auf die wir im Folgenden aufmerksam machen wollen.
„Intelligente Videoüberwachung“ bedeutet nichts anderes als die Ausstattung von Überwachungskameras mit sogenannter „Künstlicher Intelligenz“. Die Technik dafür ist bereits hier in der Johannisstraße installiert. In diesem Zusammenhang sei die Planung von „biometrischen Echtzeit-Fernidentifizierungssystemen“ erwähnt, die auf Grundlage von biometrischen Daten, also Gesichtserkennung und weiteren Merkmalen, einzelne Personen identifizieren können.
Die Verwendung dieser Systeme sei (Zitat) „nach den Vorgaben der KI-Verordnung der EU nur unter besonders engen Voraussetzungen zulässig“.
Ein Blick in die Verordnung zeigt: Wirklich „streng“ ist diese Regelung natürlich nicht. Genau genommen ist die Verwendung dieser Systeme untersagt, es sei denn, es handele sich dabei um die Verfolgung von Straftaten, wie beispielsweise illegalem Drogenhandel.
Die erwähnten „bestimmten Verhaltens- und Objektmuster“, die aufgezeichnet und mittels KI eingeordnet werden sollen, machen uns letzten Endes alle zu Überwachungsobjekten, die in riesigen Datenbanken abgespeichert werden.
Von der Norm abweichendes Verhalten wird als auffällig markiert und kriminalisiert. Was als dieses erkannt wird, ist durch das Training der KI bestimmt und entzieht sich jeglicher demokratischen Kontrolle.
Nicht eine tatsächlich verbotene Tat wird erkannt, sondern eine harmlose Geste, der ein statistischer Zusammenhang zum Begehen einer Straftat zugeschrieben wird, sei es nun ein Griff in die Jackentasche oder die Übergabe von Euroscheinen.
Das wird zunächst vor allem die ohnehin schon ausgegrenzten Personen treffen: Leute, die auf der Straße leben, Leute, denen legale Lohnarbeit verboten ist.
Im Prinzip bedeutet das: Von Armut und Perspektivlosigkeit betroffene Menschen werden wieder einmal mit staatlicher Repression sanktioniert. Die wenigsten Menschen verkaufen Drogen, weil es ihnen „Spaß“ macht, sondern weil sie ohne das damit eingenommene Geld verhungern oder auf der Straße landen würden.
Was wir wirklich brauchen, sind niedrigschwellige Hilfsangebote und Anlaufstellen für eben jene Personen.
Kapitalismus bringt aber notwendigerweise Armut und den Zyklus von Armut, Kriminalisierung und weiter an den Rand gedrängt werden hervor. Die weitere Verarmung und die Angriffe der Herrschenden gegen unsere Arbeits- und Lebensbedingungen nehmen immer weiter zu. Wer dem die Grundlage entziehen möchte, kommt nicht umhin, antikapitalistisch zu sein. Mit der Zunahme von Kriegsgefahr sowie wirtschaftlicher und ökologischer Krisen nimmt auch die Notwendigkeit zu, Widerstand zu leisten.
Um diesem Widerstand vorzubeugen, bauen Staaten weltweit ihre Kontrollmöglichkeiten mit Überwachungstechnologie und immer weiteren polizeilichen Befugnissen und repressiven Maßnahmen aus. Gut im Geschäft ist dabei das von dem US-amerikanischen rechtsextremen Peter Thiel mitgegründete Unternehmen Palantier. Immer mehr Bundesländer kaufen dessen, von Datenschützern kritisierte, Software zur Bevölkerungskontrolle für die Polizei.
Wir sollen damit vor Terrorismus und Menschen, die „nicht ins Stadtbild passen“, geschützt werden. Doch ist die Technik einmal da, können sehr schnell auch weitere Gruppen und Verhaltensweisen ins Fadenkreuz geraten. Was, wenn morgen die Gesichtserkennung eingesetzt wird, um zum Beispiel Kriegsdienstverweigerer:innen zu identifizieren und zu ergreifen oder Repressionen gegen Antifaschist:innen härter durchzusetzen? Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell für selbstverständlich genommene Grundrechte außer Kraft gesetzt werden: von den auch für EU-Bürger:innen geschlossenen Grenzen bis zu Ausgangssperren und Verhaltensauflagen. Und auch nach der Pandemie ist die Militarisierung und autoritäre Zurichtung der Gesellschaft in Deutschland gerade atemberaubend.
Deshalb müssen wir uns nicht nur hier in der Johannisstraße darüber Gedanken machen. Durch die Verwendung von Drohnen mit genau diesen Überwachungssystemen sollen tausende Menschen auf Großveranstaltungen gescannt und überprüft werden – sei es nun auf dem Weihnachtsmarkt, der Maiwoche oder an der Bremer Brücke.
Somit fragen wir euch alle: Fühlt ihr euch wirklich sicherer, wenn ihr auf Schritt und Tritt von Kameras beobachtet, aufgezeichnet und abgespeichert werdet?
Die von George Orwell formulierte Dystopie der totalen Überwachung mag übertrieben wirken. Sie zeigt, wohin es führen kann, wenn Schritt für Schritt durch vermeintliche Innovation und vage Gesetze immer mehr Überwachung etabliert und normalisiert wird.
Das wollen wir nicht stillschweigend hinnehmen. Widersetzen wir uns also gemeinsam der Überwachungstechnologie und der Reform des Polizeigesetzes, die uns letztendlich mehr Schaden zufügt, als sie Sicherheit tatsächlich gewährleisten kann.
Organisiert euch, solidarisiert euch und kämpft mit uns für ein Osnabrück, in dem wir ALLE die Möglichkeiten haben, uns sicher und wohl zu fühlen.
OSNABRÜCK FÜR ALLE!
