Der diesjährige 38. Niedersachsentag hat zu künstlerischen Interventionen geführt, von denen wir hier eine dokumentieren möchten. Sie spiegelt schließlich unsere eigene Sicht auf diese Art von Selbstbeweihräucherung unserer Gesellschaft wider, weshalb wir glücklich waren, entsprechendes Material zu entdecken und hier dauerhaft vorstellen zu können.
Aus der imaginierten Perspektive des „Landschaftsverband innovativer kapitalorientierter Städte“ ist ein Text entstanden, der direkt ausspricht, was in Marketing und PR unter kapitalistischer Ordnung ansonsten eher stillschweigende Vorannahme ist: Ein Primat des Profits, sowie ein durch kommunale, städtische und staatliche Parteinahme für reibungsarme Kapitalverwertung gegen die realen Interessen der Öffentlichkeit entstehendes Spannungsverhältnis.
„Niedersachsentag 2025: Zum Glück in Osnabrück!
Sicherheit – Schönheit – Simulierte Demokratie
„Zum Glück in Osnabrück!“ – das ist nicht nur Lokalpatriotismus. Immer wieder kann unsere Stadt sich darüber freuen, von ihren Einwohner:innen und unabhängigen Beobachtern, wie dem Handelsblatt oder McKinsey & Company, zu einer der glücklichsten und lebenswertesten Städte Deutschlands gekürt zu werden. In diesem Flyer wollen wir über die Gründe dafür sprechen. Denn zum Glück ist Glück endlos teilbar!
Was also gibt unseren Bürger:innen ein Gefühl von Sicherheit, Frieden und Glück, wenn sie über ihre Heimat nachdenken? Natürlich gibt es Eigenheiten der Stadt des westfälischen Friedens, die einzigartig zu ihr gehören. Die gesunde Luft, die täglich aus dem nahen Teutoburger Wald herüberweht, ist zwar ein Segen (und kann im Kurort Bad Essen auf besondere Weise genossen werden), aber Freuden wie diese kennt jeder Ort. Deshalb sollten wir über den politischen und wirtschaftlichen Kurs Osnabrücks sprechen.
Sicherheit
Wie wäre Glück ohne ein Gefühl von Sicherheit vorstellbar? In Osnabrück wird Sicherheit darum auf vielfältige Weise realisiert. So können wir mit Stolz auf die bereits 2004 gelungene und preisgekrönte Einrichtung des Quartiers Kamp-Promenade hinweisen. Als Erweiterung des innenstädtischen Raumes in privater Obhut hat es einen Raum geschaffen, der Konsum erleichtert und die Entstehung einer störenden politischen Öffentlichkeit lokal angemessen erschwert. Die Hamburger Völkel Company Asset Management GmbH hat hier, aufgrund ihrer Investition in das Quartier, immer einen wachen Blick für Sauberkeit und Sicherheit.
Leider lässt sich dies Arrangement, trotz der für Osnabrücker Politik regulativen Idee einer entrepreneurial city, nicht endlos verallgemeinern. Daran haben in den vergangenen Jahren etwa der nahe liegende Neumarkt und die Johannisstraße gelitten, was sich in Problemen wie Alkoholkonsum, Lärm und verschmutzenden Graffiti äußerte. In der für Osnabrück typischen norddeutschen Beherztheit hat jedoch bereits Anfang 2024 unsere regierende Bürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der städtischen Verwaltung und der Polizei einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, der entstandene Missstände bereinigen soll. Aufgrund weltweit entstandener best practices in COIN war eine beträchtliche Ausweitung von Überwachung durch Kameras – deren Abschaltung während Demonstrationen oder anderen, nicht dem Konsum verpflichteten Großereignissen, problemlos vergessen werden kann und deren Nutzung auch sonst den rechtlichen Rahmen voll ausnutzen soll – ein naheliegender erster Schritt, der weitgehend kritiklos vorangebracht werden konnte. Gleichzeitig erlaubt die Einrichtung von Waffen- und Alkoholverbotszonen nun die anlasslose Durchsuchung und in Konsequenz Verdrängung von Personen, deren Präsenz einem Gefühl von Sicherheit schaden könnte. Eine tatsächliche Lösung für reale Probleme ist also weiterhin der privaten Hand überlassen, die unternehmerisch auch hier einen Profit wird verfolgen können.
Schönheit
Aber nicht nur Sicherheit leidet, wenn sich bestimmte Personengruppen frei an öffentlichen Orten versammeln können. Auch Schönheit ist deshalb in entsprechenden Maßnahmen mitgedacht. Wie viele andere Städte in Deutschland hat auch Osnabrück beträchtlich darin investiert, das öffentliche Verweilen und Herumlungern für Vertreter:innen nicht zahlungskräftiger Milieus beträchtlich zu erschweren. Das äußert sich in der Klassifizierung von Teilen der Innenstadt als Risikozonen, der strategischen Umgestaltung von Sitz- und Liegegelegenheiten auf künstlerisch gestaltete Unbequemlichkeit im Sinne der Camden Bench, einer Reduktion der Anzahl öffentlicher Toiletten, geschickt mobilisierter Rhetorik über Finanzen um Unterstützung für „alternative“ Lebens- und Politikformen erfolgreich vermeiden zu können und vielem mehr! Erst vor kurzem ist es in diesem Sinne gelungen, das SubstAnZ Osnabrück (ein sogenanntes autonomes Zentrum) zugunsten konventioneller Formen kulturellen Lebens zu verdrängen.
Simulierte Demokratie
Während viele Bürger:innen Deutschlands glauben, am politischen Prozess teilhaben zu wollen, erweist sich das bei näherem Hinsehen als Täuschung. Das heißt jedoch nicht, ein rücksichtsloses Durchregieren, gegen diese getäuschte Öffentlichkeit, wäre deshalb zu bevorzugen. Wie andere Städte ist auch Osnabrück deshalb stolz, zu gegebenen Anlässen erfolgreich demokratische Teilhabe simuliert zu haben. So etwa im Rahmen eines Bürgerbegehrens für bezahlbaren Wohnraum, das zwar an der Wahlurne einen Erfolg erreicht zu haben glaubte, aber deren Intentionen schnell vergessen gemacht werden konnten. Statt einer grundsätzlichen Diskussion über Leerstand oder etwaige Fehler der Vergangenheit in der Veräußerung von Sozialwohnungen und einer politischen Kurswende, kann nun auf einen Wunsch nach Wohnraum hingewiesen werden, um Sicherheit und Schönheit voranzubringen. Auf diesem Wege ist es nahezu gelungen, einen autonom organisierten Wagenplatz zu verdrängen (da er schließlich Land einnimmt, das zum Bau von Wohnraum genutzt werden könnte) oder den sogenannten grünen Finger für bauliche Entwicklung zu öffnen.
Wie Sie sehen, schreitet also unsere Stadt erfolgreich in die Zukunft. Gentrifizierung und die Reduktion informeller Dritter Räume ermöglichen Sicherheit, Schönheit und simulierte Demokratie. Wir sind deshalb sicher, dass auch in kommenden Jahren Osnabrück ein Glücksort für viele Menschen sein wird!“
Ein für den Niedersachsentag gestalteter Flyer war Resultat dieses künstlerischen, auf Parodie abzielenden Perspektivenwechsels. Diesem Blog-Post beigefügt ist er in Form einer PDF-Datei, aber wir möchten ihn auch direkt zitieren:
„Niedersachsentag 2025: Zum Glück in Osnabrück!
„Zum Glück in Osnabrück!“ – das ist nicht nur Lokalpatriotismus. Immer wieder kann unsere Stadt sich darüber freuen, von ihren Einwohner:innen und unabhängigen Beobachtern, wie dem Handelsblatt oder McKinsey & Company, zu einer der glücklichsten und lebenswertesten Städte Deutschlands gekürt zu werden.
Hier können Sie das Osnabrücker Glück finden
Was gibt unseren Bürger:innen ein Gefühl von Glück, Frieden und Sicherheit, wenn sie über ihre Heimat nachdenken? Es gibt Eigenheiten der Stadt des westfälischen Friedens, die aufgrund ihrer Lage einzigartig zu ihr gehören, wie die gesunde Luft, die täglich aus dem nahen Teutoburger Wald herüberweht, aber auch von uns geschaffenen Orte. Wir teilen unser Glück gerne und stellen Ihnen zum Niedersachsentag die schönsten dieser Orte vor.
Kamp-Promenade
Hier werden Investoren glücklich. Bereits 2004 wurde das Quartier
Kamp-Promenade in private Hände gelegt. Die Investoren können nun über ehemals öffentlichen Raum bestimmen und alles, was den Konsum stört, unterbinden. Wenn sie hier ungestört Geld ausgeben wollen, herzlich willkommen!
Johannisstraße und Neumarkt
Zum Glück immer im Blick der Kamera. Osnabrück hat die Technik der Zukunft installiert, die es erlaubt, mit künstlicher Intelligenz die Gesichter und Bewegungsmuster aller Passanten auf verdächtiges zu Untersuchen und mit anderen Daten zu sozialen Profilen zu verknüpfen. Die rechtlichen Grundlagen dafür müssen noch angepasst werden – aber keine Sorge, das neue Polizeigesetz ist schon in Arbeit.
Alkohol- und Waffenverbotszonen …
… machen normale Bürger glücklich. Die Polizei dürfte hier ohne Anlass Ihre Tasche kontrollieren, um zu prüfen, ob Sie eine Waffe (Nagelschere dabei?) mit sich führen. Eigentlich dürfen Sie auch kein Bier in der Hand haben, aber keine Sorge! Unsere in racial und social profiling erfahrenen Beamten belästigen in der Regel nur Menschen, die arm oder migrantisch aussehen. Genießen sie ihren Aufenthalt, ohne das Elend der Welt sehen zu müssen.
Der Grünstreifen am Bahnhofsvorplatz
Ein Glück für alle Naturfreunde. Die Stadt nutzt ein Bürgerbegehren für mehr Wohnraum, um die Grünflächen der Stadt an Investoren zu verkaufen. Profit ist schließlich Lebensqualität. Als Ausgleich für den Verlust von Grünflächen wurden beispielsweise am Bahnhofsvorplatz hunderte von hässlichen kostenlosen Fahrradständern vernichtet und durch ein wertvolles grünes Biotop ersetzt. Doch keine Sorge, Ihr Fahrrad muss auf keinen Luxus verzichten, es kann in Deutschlands zweitgrößtem Fahrradparkhaus kostenpflichtig abgestellt werden.
Appellplatz auf dem Ledenhof
Strammstehen macht glücklich. Rechtzeitig für den Niedersachsentag hat das Grünflächenamt den zentral gelegenen Ledenhof umgestaltet und dabei auf unnötiges Grün verzichtet. Der schwarze Asphaltbelag trägt nicht nur zur Erwärmung der Stadt bei und verhindert mit seiner Ausstrahlung effektiv, dass der Platz für ungezwungenes, konsumfreies Zusammensein genutzt wird. Mit Blick auf die Zukunft multifunktional ausgelegt, ist er auch als Appellplatz für militärische Zwecke zu nutzen. Unter ähnlichen Gesichtspunkten wurde auch der nahe gelegene Schlossgarten mit einem Gefängnis- und Käfigmotive aufgreifenden Stadtmobiliar aufgewertet.
Kunst und Kultur im Bahnhofsviertel
Wer Geld hat, wird hier glücklich. Im neuen Bahnhofsviertel dreht sich alles um die Konsumkultur marktgerechter Menschen und die Kunst kapitaloptimierter Stadtplanung. Bahnimmobilien für öffentlichen Transport zu nutzen oder vorzuhalten, ist unwirtschaftlich. Auch das sich den Regeln der Marktwirtschaft widersetzende, selbstverwaltete soziale Zentrum „SubstAnZ“ musste, wie zuvor schon der Kulturverein Petersburg, Platz machen. Solche unordentlichen Orte, die soziale Randgruppen und Menschen mit geringem Einkommen anziehen und obendrein in Solidarität miteinander verbinden, werden in Osnabrück nur temporär geduldet, um einen Stadtteil mit Leben zu füllen, bis er für Investoren interessant wird.
VW-Standort und Friedensstadt Osnabrück
Kriegstüchtig macht glücklich. In Osnabrück wissen wir, Frieden kann man nur schließen, wenn man vorher Krieg geführt hat. In diesem Sinne arbeiten wir am zukunftsfähigen ökologischen Umbau und begrüßen die Pläne, die Produktion umweltschädlicher Verbrenner-Autos im VW-Werk einzustellen und das Werk in die Hände von Rheinmetall zu legen, um hochmodernes Kriegsgerät zu bauen. Utopischen Ideen, wie die Umstellung auf den Bau von Straßenbahnen, wird damit effektiv ein Riegel vorgeschoben. Wozu aufwendig ein Straßenbahnnetz aufbauen, mit dem sich kein Geld verdienen lässt? In ein paar Jahren, wird das ohnehin zerbombt. Frieden schaffen wir in Osnabrück mit neuen Waffen!
Unsere Stadt schreitet erfolgreich in die Zukunft. Gentrifizierung sowie Kommerzialisierung und die damit einhergehende Verdrängung informeller „Dritter Räume“ ermöglichen Sicherheit, Schönheit und simulierte Demokratie. Wir sind deshalb sicher, dass auch in kommenden Jahren Osnabrück ein Glücksort für die Menschen sein wird, die es sich leisten können! Unter dem Leitbild einer entrepreneurial city werden wir auch weiterhin vermeiden können, eine wirtschaftlich schädliche Transformation hin zu abstrusen Ideen politisch und städtisch glücklicherweise marginalisierter Menschen zu erleben. Ob feminist city, Stadt für Alle, oder eco-city: Hinter diesen Chiffren verbirgt sich der Saboteur optimaler Verwertung öffentlicher Räume.
Landschaftsverband innovativer am Kapital orientierter Städte“