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UNANGREIFBAR – Diskussionspapier anlässlich des „Budapest-Komplexes“

Diskussionspapier anlässlich des „Budapest-Komplexes“ – Antifaschismus gegen den nationalen Taumel in Deutschland und über seine Grenzen hinaus.

„Und die da reden von Vergessen und die da reden von Verzeihn – All denen schlage man die Fressen mit schweren Eisenhämmern ein.“ – Bertolt Brecht.

Dieses Zitat Brechts wurde einem im Zuge der jüngsten Wahlergebnisse in Sachsen,Thüringen und Brandenburg ins Gedächtnis gespült. Es hat an Bedeutung und Richtigkeit nichts eingebüßt. Doch eine Sache ist schlicht nicht mehr mit den späten 1940er Jahren vergleichbar: Spricht Brecht davon, dass Menschen die Gräuel des Nazismus vergessen oder gar verzeihen wollen, so ist die Haltung in der heutigen Rechten bis hin in Teile des Bürgertums diese: Menschen dürfen – wieder – gejagt, angegriffen, klassifiziert oder abgeschoben werden. Wenn Menschen auf der AfD-Wahlparty in Brandenburg im Zuge der von ihnen umjubelten 29,2 % zu der Musik der „Atzen“ grölend „Hey das geht ab, wir schieben sie alle ab“ skandieren, dann wollen sie das von ihren Großvätern Begangene, weder vergessen noch verzeihen. Sie wollen genau diese brutale Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund von vermeintlichem kulturellen Hintergrund, sie wollen nationalistische, faschistische, antifeministische Politik. Politik, die sich gedanklich von der des historischen Nationalsozialismus nicht oder nicht wesentlich weiterentwickelt hat. Und aus diesem Grund gilt das Zitat Brechts heute noch genauso und hat leider nichts an Schlagkraft eingebüßt. Es braucht genau diesen vehementen Widerstand gegen die immer weiter erstarkende Rechte mit all den notwendigen Konsequenzen und Ausformungen antifaschistischer Praxis.

An dieser Stelle möchten wir unsere Solidarität mit den Antifaschist:innen aussprechen, die am sogenannten „Tag der Ehre“ 2023 in Budapest mehrere Neonazis auch aus Deutschland angegriffen haben sollen. Das Auftreten von Neonazis und das Ausleben ihrer Ideologie zu verhindern, ist legitim. Dabei geht es nicht um das blinde Ausüben von Gewalt, sondern die Nazis gezielt daran zu hindern das zu tun, was sie tun. Sie daran zu hindern, sich zu vernetzen. Sie daran zu hindern, ihre Propaganda in den öffentlichen Raum zu tragen. Sie daran zu hindern, sich in der Öffentlichkeit mit ihrer menschenfeindlichen Ideologie sicher zu fühlen. Es ist uns wichtig hier offen und genau zu sein. Wir wissen nicht, ob die Menschen, die von den deutschen und ungarischen Behörden vor Gericht gezerrt und in die Knäste gesteckt werden, tatsächlich in Budapest gewesen sind und Nazis angegriffen haben. (Die Geschehnisse rund um den sogenannten „Tag der Ehre“ 2023 in Budapest und die Welle
der Repression wird als „Budapest-Komplex“ bezeichnet.)

Dass wir mit den verfolgten Genoss:innen solidarisch sind, ist unabhängig von den Vorwürfen, die gegen sie erhoben werden und unabhängig, ob diese nun stimmen oder nicht. Die Richtigkeit der Handlungen bemessen wir nicht daran, was staatliche Behörden oder Springer-Presse von sich geben, sondern daran, ob die Handlungen dem weiter erstarkenden Faschismus etwas entgegensetzen und das gute Leben für alle erkämpfen wollen. Wir schreiben diesen Text, weil wir an Maja, Tobi, Hanna, Nanuk und die Anderen denken, die derzeit im ungarischen Knast sitzen oder in akuter Gefahr sind in das autoritäre Ungarn ausgeliefert und dort zu unter unwürdigen Bedingungen weggesperrt zu werden. In letzter Zeit wurde immer wieder nachvollziehbarerweise die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass selbst das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung von Maja nach Ungarn, als nicht-rechtens erachtete und per Eilverfahren die Auslieferung noch untersagte. Von langer Hand geplant hatte das Berliner Kammergericht zusammen mit dem LKA Sachsen in einer martialisch durchgeführten Nacht-Nebel-Aktion bereits Tatsachen geschaffen und Maja widerrechtlich über Österreich nach Ungarn ausgeliefert. Hier auf das Recht zu pochen ist richtig. Dieser Vorfall, dieses Ereignis ist aus zweierlei Aspekten dramatisch: Zum einen, weil dieses offensichtliche Unrecht medial und gesellschaftlich wahrgenommen wurde und den Fokus auf den „Fall“ richtete. Zum anderen, weil dies offenlegt, dass deutsche Behörden wissentlich widerrechtlich handeln, zu handeln im Stande sind und handeln wollen. Sie brechen gezielt das Recht, dass sie vorgeben und dessen Einhaltung sie gleichzeitig immer einfordern. Doch hier liegt auch gleichzeitig die Problematik: Appelle an den Staat, Maja nach Deutschland zurückholen zu müssen, sind richtig und können Druck auf die Politik machen. Wir dürfen darauf jedoch nicht zu viel Hoffnung geben, dies zeigen die letzten Monate und die nach wie vor akute Gefahr, dass auch Hanna ausgeliefert werden könnte. Die deutschen Repressionsorgane und Behörden wissen um die unmenschlichen Bedingungen in den ungarischen Knästen und nutzen die Drohung, man könnte dorthin ausgeliefert werden, ganz bewusst. Nicht obwohl, sondern weil sie wie auch die Gesuchten und Untergetauchten um die Situation in den ungarischen Knästen wissen, liefern sie aus und handeln, wie sie handeln. Auf den „Rechtsstaat“ ist folglich kein Verlass. Trotz dessen es weiter zu versuchen, die Behörden zur tatsächlichen Einhaltung ihrer eigenen Rechtsnormen zu bewegen, muss dennoch unsere Aufgabe sein! Wir lassen unsere Genoss:innen nicht allein. Doch ein Staat kann niemals eine für uns verlässliche Größe sein, insbesondere nicht, wenn dieser sich immer stärker nationalistisch geriert… in Ungarn, in Deutschland, Italien oder sonst wo. Aus dem „Budapest-Komplex“ und den Geschehnissen im Nachgang können wir als antifaschistische, antinationale Bewegung mehrere Schlüsse ziehen.

greifbar

Antifaschist:innen hatten und haben für die Gesellschaft – also über die Szene hinaus – klar sichtbare und offengelegte Angriffsziele: Hier ist es der „Tag der Ehre“ und mit ihm die NS-Propaganda samt ihren europaweit vernetzten Akteuren. Wird sich Strukturen, Demos oder anderen Vernetzungen der Faschist:innen in den Weg gestellt, so muss dies im besten Falle öffentlich wahrnehmbar sein, es muss greifbar sein. Es zwingt die Faschist:innen in einer Form in die Öffentlichkeit, welche ihnen schadet. Denn hier nehmen sie sich nicht selbstbestimmt den öffentlichen Raum, sondern ihre Verletzlichkeit wird in die Öffentlichkeit gezerrt. Dies sollte zumindest das Ziel sein. Zudem muss auch immer eine gewisse Vermittelbarkeit unserer Aktionen mitbedacht werden. Dies jedoch nicht um jeden Preis. Wenn selbst Straßenblockaden von den Repressionsorganen geahndet und von reaktionärer Presse verunglimpft werden, so dürfen wir uns weder der Illusion hingeben, diese umstimmen zu können, noch dürfen wir von diesen Aktionen abweichen – schließlich erreichen sie das Ziel antifaschistischer Praxis. Wir müssen also Erfolge unserer Arbeit herausstellen. Nur so lässt sich einerseits die bereits angeschnittene Vermittelbarkeit und Notwendigkeit antifaschistischer Praxis herstellen und andererseits auch die notwendige Solidarität. Solidarität für Maja und die anderen, die sich in den Knästen oder dem Untergrund befinden. Sei es auf die unwürdigen Bedingungen hinter den ungarischen Gefängnisgittern aufmerksam zu machen, Geld für die Anwält:innenkosten zu sammeln oder Briefe zu schreiben, um die Isolation zu durchbrechen. Hier zu nennen ist auch die Solidaritätsdemo für Maja am 28. September 2024 in Jena. Was diese verdeutlichte: neben Menschen aus dem linksradikalen Spektrum drückten die Familie, Freund:innen, Bekannte, frühere Schulkamerad:innen bei der Demo ihre Solidarität mit Maja aus. Hervorzuheben war zudem, dass auch Eltern von jungen Kindern hier aufgezählt werden können, die der taz gegenüber äußerten, dass man gegen das Unrecht welches Maja widerfährt, aufstehen müsse, denn schließlich könnte es bald auch die eigenen Kinder treffen, die sich gegen die Rechte wo auch immer einbringen könnten. Antifaschismus wird hier von Menschen über die Szene heraus als notwendig und die Repression gegen diesen als fatal erachtet, unser Anliegen findet Raum in der Gesellschaft und nimmt sich den Raum selbstbestimmt.

angreifbar

Wir können – trotz unserer derzeitigen (deutschlandweiten) doch immer wieder sichtbaren strukturellen und personellen Schwäche – Faschist:innen und ihren Strukturen punktuelle und empfindliche Nadelstiche versetzen. Und dies meint nicht nur die körperlichen Angriffe in Budapest am sogenannten „Tag der Ehre“ 2023. In den Jahren zuvor hatten die Neonazis bereits die Budapester Burg als Versammlungsort verloren, was auf das über mehrere Jahre kontinuierliche Arbeiten antifaschistischer Strukturen zurückzuführen ist. Der „Tag der Ehre“ stellte und stellt beispielhaft ein solches kontinuierliches Angriffsziel dar. Es gibt – leider – unzählige von faschistischen Strukturen, die Ziel antifaschistischer Intervention werden können und müssen – seien es rechte Aufmärsche, AfD-Infostände oder Neonazi-Zusammenkünfte und -Vernetzungen wie bspw. die „Sonnenwendfeier“ der JN im niedersächsischen Eschede im Juni 2024 auf einem Hof, welcher zum wiederholten Male antisemitische und faschistische Kräfte beherbergte. Gegen all dies kann und muss sich kontinuierlich engagiert werden. Diese Kontinuität ist wichtig. Es schafft für uns eine Verlässlichkeit, eine Planbarkeit von Aktionen. Wissen wir in welchen Abständen, wie viele Kapazitäten wir aufwenden müssen, um beispielhaft dem Geschichtsrevisionismus in Budapest erfolgreich entgegentreten zu können, sind die Erfolgsaussichten weitaus höher als bei ad-hoc-Aktionen, die nicht selten (theoretische) Vorarbeit und Reflexion missen lassen. Das heißt nicht, dass von jeder Spontanität abgerückt oder diese verteufelt werden soll. Es ist gut, wenn sich spontan Widerstand gegen rechte und extrem rechte Raumnahme formiert. Damit dieser nachhaltig bleibt, erfolgreich ist und Menschen ihr Engagement verstetigen, braucht es auf lange Sicht Kontinuität, Reflexion und eine gesunde Einteilung der Kräfte und Kapazitäten.

unangreifbar

Das Thema der Repression eröffnet eine weitere Ebene, die in der Auseinandersetzung mit dem „Budapest-Komplex“ und generell antifaschistischer Praxis immer relevanter werden wird. So wichtig Anti-Repressionsarbeit ist – unser Ziel muss es bei jeder Aktion und unserem Engagement auch immer sein, nicht greifbar, ja unangreifbar zu sein. Sind wir unvorsichtig, so gefährden wir uns und andere. Im schlimmsten Fall bedeutet dies, dass Geräte und Daten in die Hände der Repressionsorgane gelangen, Wohnungen gestürmt, Strukturen nachhaltig gefährdet werden und in der zukünftigen Zeit hohe Kosten und Entbehrungen auf uns zukommen. All dies muss einkalkuliert sein und werden (man kann und muss bei den derzeitigen staatlichen Entwicklungen sehr vorsichtig sein). Es gilt aber die Wahrscheinlichkeit dessen möglichst einzudämmen und zu verringern. Im besten Falle haben wir Zeit, Gelder und Kapazitäten für unsere antifaschistische Praxis und den Kampf gegen die extreme Rechte. Im besten Fall müssen wir all dies nicht zur Verteidigung unserer Strukturen und unserer Bewegung nutzen. Denn Antirepressionsarbeit bindet so viele Kräfte, die dann mitunter an anderer Stelle fehlen. Und dennoch bleibt und ist der Knast eine reale Gefahr. Es ist wichtig und möglich hier einen selbstbewussten Umgang mit Repression zu finden; unser Engagement wird und darf nicht verringert oder abgeschwächt werden, unser Engagement ist nicht falsch oder illegitim. Auch wenn Repressionsorgane das anders sehen, sind uns die möglichen Konsequenzen bewusst, trotzdem oder gerade deswegen muss der Kampf gegen Faschist:innen weiter geführt werden. Wird Genoss:innen dies von Staat, Justiz und Polizei zur Last gelegt und entziehen sie sich den Festnahmen, die ihnen aufgrund ihrer vermeintlichen Aktionen usw. drohen, so kann das Untertauchen als ein solcher selbstbestimmter Umgang verstanden werden. Gehen sie in den Knast, so kann auch dies ein selbstbewusster Weg sein, der nicht einer Läuterung und einem Abschwören der Überzeugungen und einem Aufgeben des Aktivismus gleichkommt. Dieser kann auch hinter Gittern stattfinden.

Wir wünschen uns breites Engagement, aber dies möglichst sicher und selbstbestimmt. Gelingt das, hat dies zum einen eine empowernde, nachhaltige Wirkung nach innen. Nach außen zeigt es, dass man rauskommen kann aus der Defensive und rechten Akteuren das Wasser abgraben kann.. und dies auch im Kleinen und Konkreten, was es nicht weniger wert ist.

Ausblick

Bei einer realistischen Einschätzung unserer Stärke und Kapazitäten sind wir im Moment nicht in der Lage, der erstarkenden Rechten von Jetzt auf Gleich den Garaus zu machen. Wird dies dennoch als Ziel ausgerufen, wird Enttäuschung und Zynismus mittelfristig nicht lange auf sich warten lassen. Und dennoch: Einzelne konkrete, vielleicht auch klein erscheinende Ziele wie AfD-Infostände oder Wahlkampfveranstaltungen sind immer greifbar und sicherlich nicht minderwichtig anzugehen. Diese Zeilen sollen eine Diskussion anstoßen. Begeben wir uns solidarisch in die Auseinandersetzung und Diskussion über den Kampf gegen den Faschismus in und über die Grenzen Deutschlands hinaus. Stehen wir dabei zusammen, bündeln unsere Kräfte und resignieren wir nicht. Unser Handeln muss und kann greifbar werden – die Faschist:innen und ihre Wegbereiter angreifen, ohne selbst unachtsam und fahrlässig zu sein!

Die abschließenden Worte sollen Maja gehören, sie stammen aus dem Grußwort zur oben erwähnten Demo in Jena:


„Ich möchte euch dazu ermutigen, zu sagen und zu zeigen, wie viel Kraft in euch wohnt und wie viel ihr jeden Tag erreicht, ob im Großen oder im Kleinen. Dem Gift in der Gesellschaft von autoritären Repressionen bis hin zu wahnwitzigem Populismus trotzend, schließt ihr euch zusammen, bleibt standhaft und tut mehr als leere Worthülsen in die Welt hinauszuschreien. Eure Solidarität kommt an, seid euch das gewiss, ermutigt euch weiter zu kämpfen, ihr schafft es zu verändern.“

¡No Pasarán!

Verweise: