Redebeitrag auf der No Lager Demo am 08.07.2023
Während die AFD-Nazis im Bundestag kreischen: Absaufen lassen! ABSAUFEN LASSEN! führen die politisch Verantwortlichen aller europäischen Länder – während sie gleichzeitig von „unseren Werten“ schwafeln – GENAU DAS AUS, was die AFD fordert! – Wie können sie damit durchkommen?
Die Erklärung liefert Michel Foucault, der beschreibt, wie Machtgebrauch sich in Jahrhunderten verändert hat.
(Quelle: Der Wille zum Wissen [gebundene Ausgabe, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1977 S. 159 ff.])
Es ist der Kolonialismus, der Rassismus in ganz Europa zur Normalität gemacht hat. Um für angeblich von Gott eingesetzte Könige, Menschen zu knechten und zu bestehlen, benutzte man die Erzählung, die Kulturen der überfallenen Menschen seien minderwertig. Das Recht dieser Könige war: das Recht zu töten! Sterben zu machen und Leben zu lassen. Im 17. und 18. Jahrhundert schlossen sich an dieses Recht Machttechniken an, die auf die individuellen Körper gerichtet sind: die Bio-Macht.
Was ist Rassismus? Die Erfindung von Rassen erlaubt der Macht, die Bevölkerung, oder genauer: die Gattung, in Untergruppen einzuteilen. Zunächst den Bereich des Lebens, den die Macht in Beschlag genommen hat, aufzuteilen: zwischen dem, was leben darf, und dem, was sterben muß. Das ist die erste Funktion des Rassismus.
Die zweite Funktion ist, eine Beziehung herzustellen vom Typ „je mehr du töten wirst, um so mehr wirst du leben machen“. Sie gründet auf der kriegerischen Beziehung: Um zu leben, mußt du deine Feinde umbringen. Sie wurde nicht vom modernen Staat erfunden, sondern genutzt. Damit ermöglicht der Rassismus die Herstellung einer Beziehung zwischen dem eigenen Leben und dem Tod der Anderen, die dennoch keine militärische ist, sondern eine biologische Beziehung: Der Tod der Anderen, der bösen, der niederen Rassen – aber auch der „überflüssigen“, wird das Leben gesünder und reiner machen.
Es geht darum, Leben zu machen und sterben zu lassen. Es geht um Bevölkerung als Ressource und Kostenfaktor! Diese Bio-Macht war ein unerläßliches Element bei der Entwicklung des Kapitalismus. „Leben machen“ betrifft alle Techniken der Optimierung, es geht um Ernährung, Wohnen, Gesundheit, Bildung, Mobilität usw. Die Abstimmung der Menschakkumulation mit der Kapitalakkumulation, die Anpassung des Bevölkerungswachstums an die Expansion der Produktivkräfte und die Verteilung des Profitswurden durch die Ausübung der Bio-Macht ermöglicht.
Darüber hinaus brauchte der Kapitalismus Machtmechanismen, die geeignet waren, die Kräfte, die Fähigkeiten, das Leben im ganzen zu steigern und seine Unterwerfung zu ermöglichen. Z.B. ging es dabei um Krankheiten, die als Kostenfaktoren wirken, durch Produktionsausfall und Pflegekosten, die Ende des 18. Jh. zu einer Medizin führten, deren Hauptaufgabe die öffentliche Hygiene wird. Reproduktion, Regenerierung, Geburts- und Todesraten, es geht um die Optimierung des Lebens.
Seit damals haben sich die Erzählungen verändert – die Verhaltensweisen nicht. Ab da schreibt sich Rassismus als grundlegender Mechanismus der Macht ein, sodass es kaum ein modernes Funktionieren des Staates gibt, das sich nicht des Rassismus bedient. In einer Normalisierungsgesellschaft ist der Rassismus notwendige Bedingung für die Ausübung des Rechts auf Tötung. Selbstverständlich versteht sich unter Tötung nicht nur der direkte Mord, sondern auch alle Formen des indirekten Mordes:
- jemand der Gefahr des Todes ausliefern, oder für bestimmte Menschen das Todesrisiko – ganz einfach durch Vertreibung, Abschiebung usw. zu erhöhen. Das bedeutet die Neue Hegemoniale Macht: Leben machen und sterben lassen. Was aktuell gerade vor unseren Augen geschieht ist folgendes: Auch im Postkolonialismus geht es nur um Diebstahl – um kapitalistischen Diebstahl im Gewand der Rechtmäßigkeit – wie z.B. der sogenannten Freihandelsabkommen zum Vorteil multinationaler Konzerne.
- Der Kapitalismus hat weltweit Millionen Menschen von dem Boden, von dem sie lebten, vertrieben. Zunächst um sie auszubeuten, dann durch ihre „Freisetzung“ durch den Einsatz von Maschinen.
- Sterben lassen durch Hunger, weil Fabrikschiffe die Küsten Afrikas u.a. leerfischen, weil multinationale Konzerne Ländereien an sich bringen, um Blumen und Erdbeeren oder Soja für Biosprit anzubauen, an Stelle von Nahrung für die Bevölkerung.
- Sterben lassen durch Konzerne, die die Kleinbauern nach wie vor vertreiben, um die für unser aller Überleben nötigen Regenwälder zu vernichten – für Profit durch Rindfleischproduktion.
- Sterben lassen durch anzetteln von Kriegen (Afghanistan/Jugoslawien/Irak/Mali/Iran – open end), mit Söldnern und Waffenlieferungen aus den Industriestaaten, egal an wen. Krieg und Ausplünderung ihrer Heimatländer, treibt Menschen auf die Flucht. Und wie im Kolonialismus wird die Verantwortung den Opfern zugeschoben.
- Sterben lassen der Kriegsflüchtlinge und Flüchtlinge der Klimaschäden, u. a. im Mittelmeer.
- Sterben lassen durch Pandemien, indem den „Überflüssigen“ Impfstoffe vorenthalten werden gegen Krankheiten, die durch praktizierte Massentierhaltung an Menschen herangetragen und verbreitet werden konnten – Leben machen, das hieß bei Corona, über Impfstoffe, Pflegepersonal, Ärztinnen und Intensivstationen zu verfügen.
So ist die EU-Flüchtlingspolitik als Bio-Machtausübung absolut folgerichtig. Millionen Menschen wurden überflüssig gemacht durch den kapitalistischen Verwertungsprozess: Sie werden NICHT MEHR GEBRAUCHT.
Deshalb liegt es auf der Hand, dass Flüchtlingszahlen, die Früchtedes neoliberalen Spätkapitalismus, nun durch indirekte mörderische Praxis minimiert werden. Es reicht, Menschen an der Flucht zu hindern oder dafür zu sorgen, dass diese Flucht tödlich endet.
Nicht die ungebremste Ausbeutung aller Ressourcen und die Überproduktionen, die unsere Umwelt zerstören und zerstört haben, wird bekämpft, sondern man entledigt sich der Menschen, die keine kapitalistische Profitmaximierung mehr versprechen, nachdem ihre Lebensgrundlage vom Kapitalismus zerstört wurde. In dem Moment, in dem der Kapitalismus Menschen nicht mehr braucht, entledigt er sich ihrer gnadenlos.
Der Nationalsozialismus hat die Mechanismen der Bio-Macht bis zum Exzess gesteigert, diese sind aber auch die Grundlage aller moderner Staaten. Foucault hat perfekt ihre Triebkraft beschrieben.
Naziparteien sind im Aufwind, angefeuert durch die Heilslehren des Neoliberalismus. Sie wurden hier bei uns durch die Schröder/Fischer Regierung etabliert. Zur Durchsetzung der Verarmungsmaschinerie Hartz IV wurde die Diffamierung Erwerbsloser durch Schröder und Müntefering im Diskurs zur Normalität. Eine saubere Dreieinigkeit mit Sarrazin, der Nazi-Rassismus (den wir gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nennen) auch wieder gesellschaftsfähig machte.
„Für die Rüstungsindustriellen und die Waffenhändler aller Art ist der Kampf gegen Flüchtlinge und Migrantinnen viel profitabler als jeder gegenwärtig wütende Krieg in Syrien, Darfur oder Jemen. Die EU hat längst ihre mehrjährige Finanzplanung bis 2027 veröffentlicht. Danach ist für die Posten ‘Grenzsicherung’ und ‘Migration‘ eine Erhöhung der Finanzmittel auf bis zu 34,9 Milliarden Euro vorgesehen (das Dreifache der Summe von 2019). …
Das Budget von FRONTEX wurde für die Jahre ab 2000 um 12 Milliarden Euro angehoben, das des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO – European Asylum Support Office, seit Anfang 2022 EUAA – European Union Agency for Asylum) um 0,9 Milliarden.
Die Europäische Kommission begründete diese Erhöhung wie folgt: Es erscheint offensichtlich, dass Grenzsicherung und Migrationssteuerung in Zukunft eine der wichtigsten Aufgaben [der EU] sein werden.
Das, was die Bürokraten in Brüssel ‘border security‘ (Grenzsicherung) nennen, verspricht den Waffenhändlern märchenhafte Profite.“ Das sagt Jean Ziegler in seinem Buch „Die Schande Europas“. (Quelle: Jean Ziegler – Die Schande Europas – Von Flüchtlingen und Menschenrechten, München 2020)
Michel Foucaults Begriff Bio-Macht = Staatsfaschismus ergänzt die alte Macht: Sterben machen und Leben lassen um die neue Bio-Macht: Leben machen und Sterben lassen.
Genau diese Macht exekutieren FRONTEX und andere von der Europäischen Union bezahlte Söldner, im Mittelmeer und anderswo. Die letzte Hürde gegen offenen Faschismus bilden nur noch Reste von Demokratie.
Ausschließlich die Abschaffung des Kapitalismus und die Etablierung einer globalen Basisdemokratie könnten der Bio-Macht und der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ein Ende bereiten.