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Redebeitrag auf der Kundgebung zum 19.Februar

Gemeinsamer Redebeitrag von No Lager und Likos auf der Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des Anschlags von Hanau.

Vor genau zwei Jahren am 19. Februar 2020 ermordete in Hanau ein rechter Terrorist neun Menschen. Bewusst sucht der Täter Orte auf, welche durch rassistische Vorurteile geprägt sind und ermordete Menschen die nicht in sein rassistisches Weltbild passten. Neben tiefer Trauer und Wut, hinterlässt diese Tat auch viele Fragen. Heute werden wir uns jedoch der Frage nach der Rolle der Polizei in der Tatnacht und im Allgemeinen widmen.

Entgegen der offiziellen Darstellungen, nach denen Polizei- und Rettungseinsätze wie auch die Begleitung und Betreuung der Betroffenen nahezu optimal gelaufen seien, offenbart sich im realen polizei-behördlichen Vorgehen eine üble Mischung aus Überforderung, Ignoranz und Rassismus. Schnell wurde seitens des hessischen Innenministers, Peter Beuth, von „exzellenter Polizeiarbeit“ gesprochen OHNE sich mit den Angehörigen, Überlebenden oder Zeugen auseinandergesetzt zu haben. Viele Beispiele zeigen das kollektive Versagen von Polizei und Behörden – vor, am und nach dem 19. Februar 2020. Besonders das Schicksal von Vili Viorel Păun verdeutlicht dies.

Er probierte den Täter aufzuhalten und verfolgte ihn eigenständig in seinem Auto. Die Polizei konnte er auf seiner Verfolgungsfahrt nicht erreichen. Die Notrufleitungen waren nicht besetzt. Das Versagen der Polizei musste Vili am Ende mit seinem Leben bezahlen. Er wurde vom Täter im eigenen Auto erschossen.

Die strukturell-rassistische Stigmatisierung der Polizei gegenüber migrantisiserten Menschen zeigt sich auch in der Nacht vom 19. Februar deutlich:

Piter Minnemann, Überlebender des zweiten Tatorts, rannte zur ersten Polizeistreife die er fand und sagte: „Kommen sie bitte, auf uns wurde geschossen, dadrin sterben Leute!“ Die Polizisten glaubten ihm nicht und blieben tatenlos. Es sollte noch eine Viertelstunde dauern, bis die ersten Beamt*innen am Tatort eintrafen. Später wurde er von der Polizei zu Fuß durch die ganze Stadt geschickt, um eine Zeugenaussage zu machen, obwohl der Täter noch nicht gefasst war. Einen Krankenwagen, in dem ein Schwerverletzter lag, der in der Arena Bar angeschossen wurde, hielt die Polizei minutenlang auf, und verlangte vom Verletzten seinen Ausweis vorzuzeigen. Das Auto, in dem die Familie von Mercedes Kierpacz saß, um ihre Tochter noch einmal zu sehen, umzingelten SEK-Beamt*innen, richteten die Waffen auf sie und zwangen sie auszusteigen. Dass sie Angehörige sind, glaubte ihnen der Einsatzleitende nicht und erst nach mehrmaliger Bestätigung durch einen Kollegen, gab er den Befehl, die Waffen zu senken. Es gab keine Entschuldigung, keine Anteilnahme. 13 der SEK-Beamt*innen, die in der Tatnacht im Einsatz waren, verkehrten, so stellte sich später heraus, in rechten Chatgruppen. Die Liste der Rassismen, derer die Angehörigen Opfer wurden, lässt sich fast unendlich weiterführen und ein Einzelfall, das ist sicher, ist dies nicht. Seit Dezember letzten Jahres gaben 12 der Hinterbliebenen und Überlebenden ihre Stellungnahmen vor dem Wiesbadner Untersuchungsausschuss und berichteten von den Ereignissen in der Tatnacht und ihren Erlebnissen. Allen gleich ist: Absolutes Versagen seitens der Polizei und Behörden. Versäumnisse bei Prävention, Einsatz in der Tatnacht und der Aufklärung. Schweigen über Schicksal und Verbleib der Ermordeten über eine ganze Woche. Diskriminierendes Verhalten gegenüber allen Betroffen in der Tatnacht und bis zum heutigen Tag.

„Jemand tötet deinen Sohn und sagt: ‚wir haben keine Fehler gemacht‘
Doch ihr habt hier Fehler gemacht
Waffenbehörde hat Fehler gemacht
Polizei hat Fehler gemacht
Überall, überall gibt es hier Fehler, volle Fehler“

– Zitat Serpil Temiz-Unvar, Mutter von Ferhat.

Nun stellt sich die Frage: Wer schützt hier wen?

Es ist auf jeden Fall nicht die Polizei, welche die von Rassismus Betroffenen schützt. Doch wen schützt sie dann? Sie schützt die Reichen und drangsaliert die Armen. Sie beschützt das Eigentum an Fabriken, Wohnungen und riesigen Landflächen, die allen gehören sollten. Und wenn Menschen sich gegendiese Verhältnisse wehren, dann kommt die Polizei und macht den Weg frei für die Interessen von Staat und Kapital. Denn die Polizei ist nicht für deinen oder meinen Schutz da, sondern zum Schutz der bestehenden Reichtumsverteilung. Und das bedeutet das sie auch die rassistischen und starren Strukturen dieser Gesellschaft schützt.

Und dies alles im Namen der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Dieses magische Mantra, welches von Seiten der staatlichen Exekutive und Politiker*innen gebetsmühlenartig gegen „jeden Extremismus“ ins Feld geführt wird, dient nicht nur dazu jeden unangenehmen, fortschrittlich Protest zu delegitimieren und zu kriminalisieren, sondern auch gleichzeitig dazu sich selbst und eine nicht existierende „Mitte der Gesellschaft“ von jeder Menschenfeindlichkeit freizusprechen.

Doch das dies nie die Realität war zeigen allein schon die Vorfälle rassistischer Polizeigewalt in Deutschland – hier sei als Beispiel der Fall Oury Jalloh genannt, welcher von Polizist*innen gefoltert und ermordet wurde – und das quasi schon alltägliche zu Tage treten rechter Netzwerke in der Polizei. So auch in der „Friedensstadt“ Osnabrück, wo bei der örtlichen Polizeidirektion im Jahre 2020 mehrere Fälle extrem rechter Gesinnung untersucht wurden. Selbstverständlich sah die örtliche Staatsanwaltschaft keinen Anlass dies vor Gericht zu bringen. Treu nach dem Motto: „Eine Hand wäscht die andere“ oder „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“.

All diese Umstände sind auch absolut nicht verwunderlich in Anbetracht der Geschichte deutscher Polizei und Justiz. Man erinnere nur an die Tatsache, dass in der frühen Nachkriegszeit zahlreiche Spitzenpositionen in Polizei und Geheimdienst mit ehemaligen Mitgliedern der Gestapo und der SS besetzt wurden.
Auch heute zeigt der Fall des NSU oder der Anschlag von Hanau, dass die Polizei weder Freund*in noch Helfer*in ist.
Es war und es bleibt dabei: Die Polizei ist keine Lösung sondern Teil des Problems.

Da wir uns beim Kampf gegen Rassismus nicht auf den Staat und seine Exekutive verlassen können, bleibt uns nur noch die Möglichkeit uns selbst zu organisieren.
Das diese Selbstorganisation notwendig ist lässt sich bei der Gestaltung der Erinnerungskultur sehen.
Hier müssen die Opfer- und Angehörigenvernetzungen seit Jahren elementare Arbeit leisten, weil auch hier auf den Staat kein Verlass ist.

Und auch bei der juristischen Aufarbeitung von rechter Gewalt leisten eben jene Vernetzung wertvolle Arbeit – denn auch hier ist auf den Staat in Form von Staatsanwaltschaften und Gerichten kein Verlass. Beispiel dafür sind der NSU-Prozess, wo Vertreter*innen der Nebenklage als einzige Kraft eine umfangreiche Aufklärung und Beleuchtung der Hintergründe anstrebten.

Wir dürfen nicht aufhören weiter zu kämpfen und deswegen:

Organisiert euch gegen die Angst. Organisiert euch für das Leben.
Erinnern heißt, für Veränderung zu kämpfen. Für die Gesellschaft der Vielen.