Warum die Grünen keine linke oder alternative Partei sind. Redebeitrag beim Global Strike Day am 24.09.2021.
„Es gibt keine andere Partei […] in der die Differenz zwischen dem Image und der praktischen Realität der Politik so groß ist“ sagt Jutta Ditfurth – Mitgründerin und ehemalige Politikerin der Grünen, als es noch Linke und Linksradikale in dieser Partei gab. Das Zitat trifft heute noch genauso zu wie vor 10 Jahren. Seitdem die Klimakrise von Bewegungen wie Fridays for Future ins Zentrum der politischen Debatte gerückt wurde, trifft es vielleicht sogar noch mehr zu als damals.
Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied: Viele der Grünen- Wähler*innen, viele Menschen aus der Klimabewegung sind schlicht zu jung, um die brutale, umweltschädliche und kriegstreibende Politik der Grünen, als sie 1998-2005 mit der SPD die Bundesregierung stellten, miterlebt zu haben. Heute können die Grünen sich als alternative und ökologische Partei inszenieren, fast so als hätten sie noch nie regiert bzw. als würden sie in einigen Bundesländern nicht regieren.
Grund genug, sich nochmal ins Gedächtnis zu rufen, was die Grünen in der Bundesregierung so alles veranstaltet haben, wobei allerdings gesagt sei, dass wir nicht jede Schweinerei aufzählen können.
Grüne Kriegspolitik
Unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer, der nebenbei ein Vorbild für Baerbock ist, beteiligte sich Deutschland das erste Mal seit dem zweiten Weltkrieg wieder aktiv an einem Krieg: Der weiteren Zerschlagung Jugoslawiens durch die NATO. Die Grünen spielten dabei eine ungemein wichtige Rolle: Sie schworen weite Teile der deutschen Bevölkerung auf den völkerrechtswidrigen Krieg ein, indem sie Serbien mit dem nationalsozialistischen Deutschland verglichen, ein zweites Ausschwitz herbeifantasierten und damit den Holocaust relativierten. Deutschland führte also dort, wo Wehrmacht und SS gewütet hatten, wieder Krieg und zwar nicht trotz, sondern in den grünen Augen wegen Auschwitz. Das menschheitsgeschichtlich größte Verbrechen, der industrielle Massenmord, wurde instrumentalisiert, um einen neuen Krieg zu rechtfertigen. Die CDU oder die FDP hätten einen Krieg niemals ohne große Massenproteste durchgesetzt bekommen, die Grünen konnten eben genau diesen Tabubruch vollziehen.
1999 griff die NATO Jugoslawien schließlich an. 78 Tage dauerte der Krieg. In 38.000 Lufteinsätzen wurden 9160 Tonnen Bomben abgeworfen und Geschosse mit zehn Tonnen radioaktivem Uran abgefeuert. Dabei handelte es sich um panzerbrechende Munition, das Uran zerstäubt beim Aufprall zu Mikropartikeln, gelangt so ins Grundwasser und kontaminiert Menschen und Natur. Es ruft genetische Schäden und Krebserkrankungen hervor und hat eine Halbwertszeit von ca. 4,7 Milliarden Jahren.
Jugoslawien informierte damals außerdem die NATO über die Standorte von Chemiefabriken, in der Hoffnung, dass diese nicht bombardiert werden, woraufhin die NATO eben genau diese Fabriken angriff. Zivilist*innen wurden umgebracht, die Infrastruktur zerstört, Trinkwasser und die Umwelt vergiftet.
Natürlich alles aus humanitären Gründen. Wer das ernsthaft glaubt müsste sich die Frage stellen, warum gleichzeitig und bis heute beste Beziehungen – selbstverständlich inklusive Waffenlieferungen – zu Regimen wie Saudi-Arabien, der Türkei oder dem Iran bestehen. Und wer sich die Verbündeten der NATO und die Freunde der Grünen auf dem Balkan zu dieser Zeit anschaut wird hier zum Ergebnis kommen, dass diese ebenso Kriegsverbrechen begingen – aber das passte ihnen nicht in den Kram. Um Menschenrechte geht und ging es nie. Ziel war es, die polit-ökonomischen Interessen der NATO und Deutschlands auf dem Balkan durchzusetzen: Jugoslawien in kleine, konkurrenzschwache Staaten zerschlagen und gleichzeitig den Einfluss Russlands schwächen. Dafür geht man schon immer über Leichen.
Agenda 2010 und Hartz 4
Sozialpolitisch trugen die Grünen die Demontage des Sozialstaats mit – die Einführung der Agenda 2010 und damit die größte Verarmungs- und Verelendungsmaschinerie seit 1945. Das Recht auf sozialversicherungspflichtige Jobs wurde abgeschafft, Gewerkschaften massiv geschwächt, der Kündigungsschutz gemindert, Sozialversicherungskosten auf die Lohnabhängigen abgewälzt, Leiharbeit massiv ausgeweitet und eine Repressionsmaschinerie gegen alle Menschen, die Opfer dieser Verarmungspolitik sind, eingeführt. Hartz 4- Empfänger*innen können nun zu fast jeder Art Arbeit gezwungen werden und, falls sie sich weigern sollten, durch einen Katalog an Sanktionen gebrochen werden.
Für das Kapital war die Einführung von Hartz 4 allerdings ein Geschenk. Seitdem wurde ein riesiger Billiglohnbereich installiert. Nicht nur wurden an allen Ecken und Enden Kosten auf die Lohnabhängigen abgewälzt und es stand ihnen ein Heer an entrechteten Leiharbeiter*innen und Hartz4 Empfänger*innen zur Verfügung. Die Drohung „Hartz4“ schwebt außerdem permanent über allen Arbeiter*innen in der BRD und drückt die Löhne.
Was noch?
Auch im Gesundheitsbereich beteiligten sich die Grünen am Kahlschlag: 2002 führte die Bundesregierung das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ ein. Der Selbstkostenanteil wurde erhöht, etwa. bei Medikamenten, bei Brillen, Zahnersatz, und Therapien, teilweise werden Behandlungen seitdem verweigert. Btw. die grüne Gesundheitsministerin (1998-2001) Andrea Fischer wurde nach ihrer Politikerkarriere Pharmalobbyistin.
Umweltpolitisch haben die Grünen den sog. Atomkonsens zu verantworten. Diejenigen, die sich ja so gerne als in der Tradition der Anti-AKW-Bewegung stehend präsentieren, garantierten mit dem Atomkonsens 2000 den Konzernen unter anderem einen ungestörten Weiterbetrieb der AKWs bis 2030. Nach der Katastrophe von Fukushima wurde der „Atomausstieg“ dann von der CDU/FDP-Regierung auf 2022 vorgezogen.
Stichwort Verkehrswende: Die 1994 begonnene profitorientierte Umgestaltung und Privatisierung der Deutschen Bahn trugen die Grünen auch weiter mit. Der Verantwortliche für die Entwicklung, der die Bahn zum „Global Player“ zugerichtet hat, ist Hartmut Mehdorn. Er war auf Beschluss des SPD/Grüne Kabinetts auf Vorschlag von Schröder am 16.12.1999 in das Amt gebracht worden. Mehdorn ist nicht nur die Fehlausrichtung zu verdanken, sondern er machte sich auch als Kaputtsparer einen Namen.
Und heute?
In Baden-Württemberg können die Grünen getrost als Autopartei bezeichnet werden oder, wie Winfrid Kretschmann zum Chef von Daimler sagt „Wir passen gut zusammen“. In Hessen verteidigen die Grünen (die wahrscheinlich wegen der umweltschädlichen E-Autos tatsächlich denken, sie stünden für eine Verkehrswende) den Bau einer Autobahn durch den Dannenröder Forst. Auch der Rodung des Hambacher Forsts haben die NRW-Grünen 2014 zugestimmt, was sie nicht davon abhielt zu versuchen, die Proteste für den eigenen politischen Machtzuwachs zu instrumentalisieren.
Zur Bundestagswahl tönen die Grünen nun: „Wir wollen, dass Deutschland und Europa auch bei neuen Technologien die Spitze beanspruchen – seien es E-Autos, saubere Batterien, Quantencomputer, künstliche Intelligenz oder moderne Biotechnologie. Mit einer aktiven Wirtschafts- und Industriepolitik zeigen wir eine Richtung auf und bieten zukunftsfähigen Unternehmen gute Bedingungen.“ (Aus dem Wahlprogramm der Grünen 2021).
Wer sich das Wahlprogramm der Grünen einmal anschaut wird feststellen, diese Partei hat keinerlei Gegner. Unternehmen werden als Partner betrachtet, sogar als Retter fürs Klima.
Deutsche Standortpolitik
Was hier so schön grün-modern klingt, ist knallharte Standortpolitik. Man will Deutschland und die EU konkurrenzfähig gegenüber anderen Ländern halten – auch hinsichtlich vermeintlich grüner Technologien. Ökologisch moderne Produktion soll ein Konkurrenzvorteil werden.
Die Grundlage von kapitalistischer Produktion – die Ausbeutung von Mensch und Natur und das, was immer als Wachstumszwang bezeichnet wird, tasten die Grünen nicht mal ansatzweise an. Auch wer in ihrem Wahlprogramm einen Hauch von Kritik an gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen oder auch nur das Wort „Kapitalismus“ sucht, wird nicht fündig werden. Und gute Bedingungen für Unternehmen sollte hierbei stets als Drohung verstanden werden, insbesondere von einer Partei die Hartz4 eingeführt hat. Denn was sind gute Bedingungen für Unternehmen: Niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen!
Nur ein Fehler?
Heute stellen die Grünen die sozialen Folgen von Hartz 4 allerdings einfach als Fehler dar. Als ob nicht genau diese Folgen das Ziel der Agenda 2010 waren. Als wäre den 90% der Grünen, welche 2003 für die Agenda 2010 stimmten – und damit die SPD Delegierten sogar noch übertrumpften – nicht vollkommen klar gewesen, was sie dort machen. Und man sollte genau lesen: Die Grünen wollen Hartz4 auch jetzt nicht abschaffen, sondern langsam reformieren. Der Druck auf die Lohnabhängigen soll natürlich bestehen bleiben. Konkrete Zahlen bspw. die Höhe einer Grundsicherung geben sie nicht an, genauso wenig wie sie die Renten nicht anheben wollen. Leiharbeit soll ebenfalls bestehen bleiben. Wer schon so beschissene Wahlversprechen macht, wird garantiert eine sehr brutale Sozialpolitik umsetzen, insbesondere in Anbetracht der sozialen Folgen der Corona- Pandemie.
Auch hinsichtlich neuer imperialistischer Aggressionen sind die Grünen wieder vorne mit dabei, wenn z.B. Habeck Waffenlieferungen an die Ukraine fordert oder Baerbock mehr in die Bundeswehr investieren möchte, damit „Gewehre schießen“.
„Muff von 20 alternativen Jahren“
Wer nun denkt, die Grünen hätten ja seit ihrer Regierungsbeteiligung ihr politisches Personal gewechselt, müsste auffallen, dass Politiker*innen wie Jürgen Trittin, Claudia Roth, Renate Künast, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir (um nur einige aufzuzählen) bis heute Parteifunktionäre sind. Was sie allerdings verändert haben sind ihre Prinzipien und ihre basisdemokratischen Strukturen, die sie in den Anfangsjahren noch hatten: Die Trennung von Amt und Mandat, Rotationsprinzip der Parteiämter, die Abgabe von Diäten (kein Abgeordneteneinkommen sollte höher sein als ein Facharbeitergehalt), und das Verbot Ämter anzuhäufen und Aufsichtsratsposten oder Beraterverträge anzunehmen.
Der Kampf darum, ob die Grünen eine linke Partei sind, ist entschieden. Oder wie es unter anderem Cem Özdemir und Katrin Göring Eckart formulierten: Der „Muff von 20 alternativen Jahren“ sei zu entsorgen, die Mitgliedschaft „teilweise“ auszuwechseln, mit den „Geschichten von 68“ Schluss zu machen; die Grünen sollten zu „einer Partei“ werden „wie andere auch“ . Und „Uns als zweite Generation interessiert es nicht, wie ihr euren Frieden mit der sozialen Marktwirtschaft gemacht habt. Hauptsache, es ist so. Für uns stellte sich die Systemfrage nur kurz, dann war für uns klar, dass wir Ja zu diesem System sagen“.
Grüner Kapitalismus
Die Grünen modernisieren heute eben vor allem den Kapitalismus. Schließlich hat auch das Kapital bzw. einzelne Kapitalfraktionen ein Interesse an einer Abmilderung des Klimawandels. Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren usw. erschweren ja auch durchaus profitable Geschäfte, vernichten Rohstoffe und führen zu Logistikproblemen, wie im Zuge der Flutkatastrophe im Juli diesen Jahres deutlich geworden ist. Aber auf weite Teile der Weltbevölkerung wird dabei geschissen und klimapolitisch reicht es eben nicht aus – die Grünen haben mit einer 1,5°-Politik nichts am Hut. Die einzige Klimapolitik die diesem Ziel überhaupt gerecht werden kann, ist „System Change not Climate Change“.
Ökologische und Soziale Frage
Die neoliberale Umweltpolitik der Grünen ist nicht nur umweltpolitisch komplett unzureichend, sie bedeutet auch eine Abwälzung der ökologischen Folgen des Kapitalismus auf die Arbeiter*innen. Ideen wie eine CO2-Steuer und ihre Ausgestaltung zeigen das ganz deutlich. Die Gewinne werden privatisiert und die Folgen sozialisiert. Das hat auch politische Konsequenzen für die Klimabewegung: Wenn umweltpolitische Maßnahmen von den Herrschenden unternehmenfreundlich und gegen die Interessen von Arbeiter*innen durchgesetzt werden kann es passieren, dass Umweltschutz mit materiellen Einschnitten gleichgesetzt wird. Das macht es auch rechten Akteuren leicht, Teile der Arbeiter*innen gegen Umweltpolitik im Allgemeinen und die Klimabewegung im Speziellen aufzuhetzen. Und so oder so: Die soziale Frage ist nicht zu trennen von der ökologischen.
Organize!
Eine Abwendung der Klimakrise und ein Ende der Ausbeutung von Mensch und Natur wird nicht an der Wahlurne entschieden, sondern auf der Straße und durch Organisierung von so vielen Menschen wie möglich. Eine Abwendung der Klimakrise heißt, dass wir die Produktionsmittel demokratisieren müssen, damit wir alle gemeinsam entscheiden können was wie und unter welchen Bedingungen produziert wird. Das alles klingt vielleicht nach Träumerei, aber die tatsächlichen Irrationalen sind all diejenigen die „weiter so“ propagieren. In diesem Sinne: