Am 08.06.2019 wurde das Haus in der Herderstraße 22 in Osnabrück besetzt. Wir organisierten spontan eine Kundgebung vor dem Haus, um das Anliegen der Besetzer*innen zu unterstützen, an der ca. 50 Leute teilnahmen. Das Haus steht seit Jahren leer und verkommt. Dort hätte seit Jahren Wohnraum, ein soziales Zentrum oder eine Bildungsstätte sein können. Nun wurde versucht der laufenden Debatte um die sinnvolle Nutzung des Hauses Nachdruck zu verleihen. Der Leerstand ist dabei natürlich kein Einzelfall, überall in Osnabrück stehen Häuser leer oder ganze Einkaufszentren (YPSO-Gebäude am Neumarkt). Gleichzeitig werden neue Hotels gebaut, die sich kaum wer leisten kann. Dagegen ist selbstständige Organisierung und der Aufbau von Druck nötig. Um das Problem rund um Verdrängung, Obdachlosigkeit und hohe Mieten endgültig zu lösen, hilft nur Enteignung und Vergesellschaftung. In diesem Sinne:
Die Häuser denen, die sie brauchen!
Wir dokumentieren nochmal die Erklärung der Besetzer*innen bzw. des vor Ort gefundenen und verteilten Flyers:
„Wir haben heute, am 08.06.2019, das Haus Herderstraße 22 in Osnabrück besetzt.
Im Folgenden unsere Erklärung zur Besetzung:Herder 22 bleibt!
Wie wir alle wissen, ist es um das Haus Herderstraße 22 schlecht bestellt und das aus vielen Gründen:
1. Das Haus steht seit Jahren leer und verkommt.
2. Das Haus hat auf Grund seiner Geschichte eine herausragende Bedeutung für eine kritische Erinnerungskultur, die bisher keinerlei Würdigung erfährt.
3. Das Haus hätte von der Stadt erworben werden können, um den bisher aufgezählten Missständen Abhilfe zu verschaffen. Das hat sie bewusst nicht getan.
Daher zwingt uns unsere Vernunft dazu, diesen Ort nicht länger unbewohnt und ignoriert zu lassen. Er ist ab heute besetzt! Besetzt meint hier allerdings nicht, dass Menschen vom Zutritt ausgeschlossen werden, sondern dass ein leerer Platz wieder mit etwas besetzt wird, mit Offenheit, Solidarität und kritischer Reflexion.
Kommt gerne vorbei, informiert euch und macht mit beim
Kollektiv – Die Stadt gehört allen!Gegen Leerstand!
Gegen das Vergessen!
Wohnraum für Alle!
Zum Haus Herderstraße 22
Das Haus gehörte ursprünglich den Flatauers, einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Bis in die späten 1930er Jahre bot das Haus der jüdischen Gemeinde Osnabrücks einen zentralen Wohn-, Lebens- und Zufluchtsort. Ab 1938 wurden die Bewohner*innen in Vernichtungslager deportiert und das Haus zwangsweise enteignet und „arisiert“.
Die Stadt hat mehrere Möglichkeiten verstreichen lassen, das Haus zu erwerben. Das letzte Mal im April diesen Jahres. Damit wurde die einzigartige Chance verpasst, einen wichtigen Geschichtsort zu erhalten und zu gestalten. Dabei liegen zahlreiche konkrete Vorschläge für eine sinnvolle Nutzung des Hauses vor. Hier könnte eine Bildungsstätte entstehen, die eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Zeitgeschichte ermöglicht und Reflexionen über Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus in der Gegenwart zum Ziel hat. Alle drei Phänomene sind bekanntlich – nicht nur in Deutschland – auf dem Vormarsch. Auch könnte hier ein kulturelles Zentrum entstehen, das sozialen und politischen Aktivitäten Raum bietet. Außerdem könnte dringend benötigter Wohnraum geschaffen werden, im Besonderen für verfolgte Menschen.
Nicht zuletzt sträuben sich gerade jene Fraktionen gegen den Erwerb des Hauses, die auf allen anderen Kanälen Enteignungsmaßnahmen verteufeln. An der Zwangsenteignung zur „Arisierung“ von Wohneigentum stören sie sich scheinbar nicht. Der Widerstand gegen Enteignungen zur Behebung eines gesellschaftlichen Missstands, ohne dass dabei Menschen Schaden zugefügt würde, ist daher unverständlich oder einfach ignorant.“