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Ein Streik, eine Menschenkette und der Staatsfeminismus – Ein Beitrag zur Situation in Indien

Indien, die „größte Demokratie der Welt“, wird seit 40 Jahren durch eine nationalhinduistische Regierung regiert. In den letzten Wochen gab es in Indien verschiedene Proteste gegen diese Regierung. Diese wurden hierzulande recht unterschiedlich beachtet, dies zeigt einmal mehr, wie bürgerliche Ideologie die Berichterstattung bestimmt und warum der Journalismus als vierte Säule der bestehenden Verhältnisse gilt.
Protest 1: Im indischen Bundesstaat Kerala gab es kurz nach dem Jahreswechsel eine 600km lange Menschenkette, um für die Gleichberechtigung von Frauen zu protestieren. Die kommunistische Regionalregierung hatte dazu aufgerufen, in einigen Regionen gab es am Nachmittag schulfrei, Regierungsbeamt*innen war es freigestellt an den Protesten teilzunehmen, Universitäten haben Prüfungen verschoben. Kerala ist ein Bundesstaat indem es seit der Unabhängigkeit Indiens fast ausschließlich linke Regierungen gibt, derzeit hat die marxistische Partei (CPI (M))1 den höchsten Stimmenanteil im Regionalparlament. Kerala zeichnet sich etwa durch eine geringe Säuglingssterblichkeit, eine relative Gleichstellung von Frauen und Männern und einen sehr hohen Lebensstandard in Indien, bei gleichzeitiger geringer Industrialisierung, aus. Über diesen Protest, im Kern ein Protest für Zugang zu einem Tempel, wurde nicht nur durch linksliberale Medien, wie den SZ-Ableger jetzt.de berichtet, die Meldung schaffte es selbst bis in die Abendnachrichten des ZDF.
Protest 2: 200 Millionen Menschen streiken, Schienen sollen blockiert werden, Lastwagen fahren nicht. Am 8. und 9. Januar bestreiken Millionen von Inderinnen verschiedenste Industriezweige. Selbst der Gewerkschaftsverband, welcher der Regierungspartei BJP nahesteht, hat sich an den Protesten beteiligt. Auch bei diesen Protesten streiken nationale und regionale Verwaltungsbeamte, der Bauernverband (CPI nahestehend) kündigte an Bahngleise zu blockieren. Die Datenlage ist auch über 2 Wochen nach den Protesten schlecht. Allein das Neue Deutschland veröffentlichte am 8.1. und am 11.1. Artikel. Zapp (NDR- Magazin) griff zumindest den Umstand auf, dass der wohl größte Streik der Menschheitsgeschichte nicht mal eine dpa-Meldung wert war und veröffentlichte dazu ein nettes Video bei facebook. Es ist jedoch als äußerst fragwürdig zu erachten, dass als erstes Ergebnis KenFM bei einer Googlesuche mit den Suchbegriffen Indien; Streik; 2019 erscheint, können sich alle emanzipatorischen Linken mal fragen, wie das eigentlich sein kann.
Worin ist diese unterschiedliche Berichterstattung begründet? Das Neue Deutschland versuchte im Artikel vom 11.1. eine Erklärung zu formulieren. Interessant ist dort zunächst einmal, die Begründung der dpa: „Die Zahlen der Streikenden wären nicht verifizierbar gewesen.“ Anschließend folgen Erklärungsansätze die einen etwaigen Eurozentrismus belegen wollen und aufzeigen wollen, warum Peripheriestaaten nur etwa durch „Bad News“ wie Entwicklungsstand oder Gewalt gegen Frauen bekannt gemacht werden. Dies ist aber nur ein kleiner Erklärungsansatz. Die bürgerliche Presse interessiert sich schlicht nicht für einen großen, riesigen Streik (solang er nicht zu Ausschreitungen führt), unmittelbar spürbar ist oder um die Ecke ist (bspw. Frankreich, doch auch in diesem Fall wurde und wird praktisch kaum berichtet) Sie kann ihn außerdem meist gar nicht greifen, verstehen und einordnen. Aber auch ein Großteil der Linken hierzulande hat kaum Notiz von dem Streik genommen und auch sie hat leider kaum einen Begriff von sozialen Auseinandersetzungen, Kämpfen und Streiks. Diesen Zustand sollten wir gemeinsam ändern und wir sehen dabei zumindest gewisse Chancen. Als Anfang könnten wir beginnen linksradikale Politik auch für uns zu machen und uns selbst als Teil dieser Gesellschaft begreifen, die Grund haben in dieser etwas zu verändern. Wir müssen wieder für grundlegendste Arbeiter*innenrechte (also auch für uns) auf die Straße gehen, wir müssen wieder mit unseren Kolleg*innen Arbeitskämpfe führen und wenn das für den Anfang heißt, dass wir alle unsere Pausenzeiten einhalten und unsere Überstunden aufschreiben. Das wir diese Entwicklung bei uns selbst beginnen müssen, zeigen etwa Interventionen der FAU in Berlin (SO 36). Erst wenn wir im Kleinen beginnen, können wir Perspektiven für das Große schaffen.
Warum ist der Zugang zu einem Tempel für die bürgerliche Presse und linksliberale Netzfeministinnen so spannend? Liberaler Feminismus, also der Feminismus der Frauen in die weißen Fabriken treibt oder dazu führt, dass Näherinnen in Bangladesch T-Shirts mit „Female Future Force“ herstellen – führt genau zu dieser Entwicklung. Frauen im 20. Jahrhundert wollten den Fesseln des Haushaltes entkommen, sie haben niemals die Ausbeutung durch Lohnarbeit gefordert. Den Scheitelpunkt dieser Entwicklung erleben wir heute. Me too, Ehe für alle und das Verfassungsurteil zur dritten Option zeigen, der Kapitalismus braucht Gleichstellung und Diversität für noch mehr Wachstum. Ein Streik gerät dabei nicht ins Blickfeld. Damit all diese guten Entwicklungen, die emanzipatorische Kräfte erkämpft haben, ihre volle Wirkung entfalten können, braucht es eine andere Gesellschaft. Damit sollten wir anfangen, mit unseren Nachbar*innen, Kolleg*innen und den Frauen an der Kasse.
1 Hierbei handelt es sich um die marxistische CPI, in Indien gibt es etwa noch die von der Regierung als terroristisch eingestufte CPI (Maoist) oder CPI (Marxist-Leninst). Seit Beginn der 2000er gibt es jedoch Bestrebungen Unterschiede zu überwinden, um in naher Zukunft [?] mit vereinten Kräften agieren zu können.
Quellen: