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Corona und die Sehnsucht nach der Autorität

In markantem Tempo verbreitet sich sich die Covid-19-Pandemie, die vor allem für sog. Risikogruppen lebensbedrohlich ist, jedoch von allen Menschen übertragen werden kann, auch wenn sie keine Symptome zeigen. Daher ist es vollkommen richtig, dass Leute Rücksicht aufeinander nehmen um die Gefährdung für Angehörige dieser Risikogruppen und der eigenen Gesundheit möglichst gering zu halten. Es ist deshalb durchaus sinnvoll, Großveranstaltungen zu vermeiden oder abzusagen und den körperlichen Kontakt mit anderen Personen einzuschränken.

Dennoch ist die vollkommen fehlende Diskussion über staatlich angeordnete Maßnahmen und Verbote zumindest äußerst bedenklich, das Tempo in dem diese verabschiedet werden nicht weniger (dass diese Einschränkungen explizit nicht für den industriellen Sektor der Mehrwertproduktion gelten sticht natürlich heraus, ist allerdings nicht besonders überraschend). Leisten diese umfassenden Einschränkung individueller und kollektiver Freiheiten doch einer ohnehin schon laufenden autoritären Entwicklung massiv Vorschub. Und so läuft das mediale Trommelfeuer mit der Vorbereitung auf und Versöhnung mit Versammlungsverboten, Ausgangssperren, Kontaktverboten, Ausnahmezustand, Notstand. Dabei ist die Form der Stilllegung des öffentlichen Lebens durch bloße Regierungsverordnung alleine schon Grund zur Sorge, besonders wenn die hier handelnden Personen sich um Rechtsgrundlagen dafür schlicht nicht kümmern. „Schuldig macht sich nur, wer nicht handelt“ tönt es von Innenminister Seehofer und von dort ist es nicht sehr weit zu einem „Recht ist, was dem deutschen Volke nützt“ des nationalsozialistischen „Schlächters von Polen“ Hans Frank [1].
Beide Aussagen rechtfertigen grundsätzlich jegliches Regierungshandeln, solange es sich nur auf irgendeine Art besonderer Situation, auf irgendeine Art des Notstands berufen kann. Um hier in einem Punkt auf den Nationalsozialisten Carl Schmitt zurückzugreifen: „Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles“, eben auch wie es um die tatsächliche Verfassung eines demokratischen Rechtsstaats steht, der seinen Bürgerinnen und Bürgern in ruhigen Zeiten vergleichsweise viele Rechte und Freiheiten zugesteht. Was sind diese Rechte und Freiheiten im Ausnahmezustand wert? Und damit verbunden stellt sich dann auch die, ebenfalls an Schmitt angelehnte Frage, wer über den Ausnahmezustand und den Rechtsbruch entscheidet, d.h. von wem die tatsächliche Staatsgewalt ausgeht, wer tatsächlich Souverän ist. In Ungarn zumindest scheint diese Frage gerade endgültig geklärt werden, dort soll mit einem neuen Ermächtigungsgesetz die Entscheidung über das Ende des Ausnahmezustands alleine bei der Regierung liegen, die bis dahin durch Notverordnungen alleine regieren kann.

Aber auch inhaltlich sind die Verordnungen durchaus ernst zu nehmen. Erstens treffen sie nicht alle Menschen gleich. Das fängt (paradoxerweise) dabei an, dass industrielle Arbeitsstellen ohne Kontakt mit einer weiteren Öffentlichkeit nicht von den angeordneten Maßnahmen betroffen sind, die dort tätigen Arbeiter*innen also einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, dem sie sich nicht entziehen können bzw. dürfen. Weiterhin wird an der Unterbringung von Asylsuchenden in Massenlagern (und Gefangenen in Großknästen) festgehalten, während der einheimischen Bevölkerung der möglichst umfassende Verzicht auf Kontakt mit anderen Menschen nahegelegt wird.
Im für 2.000 Menschen ausgelegten Lager Moria müssen weiterhin 25.000 Flüchtende ausharren, faktisch ohne medizinische Versorgung und ohne die Möglichkeit grundlegende Hygenieregeln zu beachten, wenn sich 1.300 Menschen einen Wasserhahn teilen mussten. Inzwischen werden nur noch neun Liter Wasser in Flaschen pro Familie (unabhängig von deren Größe) ausgegeben, die zum Trinken und Waschen reichen müssen. Statt in Thüringen eine positiv auf Corona getestete Person zu isolieren wurde dort das gesamte Lager mit mehr als 500 Insass*innen komplett von der Außenwelt abgeschnitten, nachfolgende Proteste dort mit dem gesamten Arsenal der Staatsgewalt bekämpft. In Ungarn und Bulgarien patrouilliert die Armee auf der Straße und die Verbreitung von „unwahren“ (d.h. nicht regierungskonformen) Nachrichten zur Pandemie wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bedroht. In Frankreich dient die verhängte Ausgangssperre zur weiteren Legitimation ohnehin schon verbreiteter Polizeigewalt gegen vor allem migrantische Jugendliche in den Banlieues.

Dabei ist Wohnung für viele Menschen kein sicherer Rückzugsort. Besonders etwa für Frauen, die verstärkt der Gefahr von häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Für Jugendliche aus reaktionären und repressiven Familienstrukturen [2]. Diesen und anderen Gruppen wird mit der Ausgangssperre die Möglichkeit genommen, sich diesen Bedrohungen zu entziehen. Auch die Größe und der Zustand der Wohnung beeinflusst natürlich, wie gesund, gut und mit welchen Verlust an Privatsphäre die Isolation in ihr zu ertragen ist. Besonders treffen die Beschränkungen des öffentlichen Lebens ohnehin schon marginalisierte Gruppen, für die etwa aus finanziellen und sozialen Gründen der gemeinsame Aufenthalt an öffentlichen Plätzen eine der wenigen erträglichen Arten der Lebensgestaltung ist. Nochmal verstärkt gilt dies natürlich für obdachlose Menschen, die sich nicht einmal zu ihrer eigenen Sicherheit isolieren könnten und für die Missachtung von Ausgangsperren auch noch mit Geldstrafen belegt werden.

Dabei ist es nicht so, dass die immer neuen Maßnahmenpakete gegen den offenbaren Willen der von ihnen betroffenen Menschen durchgesetzt werden müssten. Den größten Protest, gemessen an den Reaktionen auf diesbezügliche Beiträge auf Facebook, traf die Entscheidung eines Streaminganbieters, sein Angebot vorerst nicht in allerhöchster Bildqualität anzubieten. Meldungen zu Ausgangssperren und anderen Beschränkungen vor allem der Bewegungsfreiheit erfreuen sich größter Zustimmung. Natürlich nur wenn nicht beklagt wird, dass die eigene Gebietskörperschaft diese oder jene bestimmte Verordnung noch nicht erlassen hat oder die Maßnahmen deutlich zu lasch seien und endlich mit härtester Hand durchgegriffen werden müsse. Es wird von vielen Menschen nicht die Notwendigkeit zur Pandemiebekämpfung nötiger Einschränkung persönlicher Freiheiten akzeptiert, weil sie als vernünftig und erkannt werden, sondern in Jubel über die Autorität und Stärke des „eigenen“ Staatsapparats ausgebrochen.

Im Zuge dessen wird das individuell vorbildliche Verhalten als atomisierter Teil der Gesellschaft als Teil der nationalen Kraftanstrengung zur Seuchenbekämpfung hervorgehoben. Und beinahe natürlich wird der Kampf als Nation geführt. Als Nation, die die verlorenen Söhne und Töchter ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Kosten aus der feindlichen Welt heim ins Reich holt. Als Nation, deren Kapitale durch die mit der Seuchenbekämpfung verbundenen Einschränkungen gegenüber der Konkurrenz nicht ins Hintertreffen geraten dürfen und die deshalb plötzlich doch Geld findet, das auf Bäumen zu wachsen, wo es sonst zur Verbesserung des Lebens von Menschen nicht zu finden ist. Als Nation in deren Schoß sich zurückgezogen werden kann, während Vater Staat sie mit harter Hand verteidigt. Als Nation, für deren Bundeskanzlerin Covid-19 als größte Herausforderung an Deutschland und die Solidarität unter Deutschen seit dem Zweiten Weltkrieg gilt, und zu was für großartigen Leistungen die solidarische Volksgemeinschaft in dieser Zeit fähig war sollte ja eigentlich allen bekannt sein. Und vor allem als Nation, die geschlossen gegen Bedrohungen des Volkskörpers durch Krankheiten oder andere zersetzende Kräfte steht. Etwa gegen Spaziergänger*innen oder gegen einzelne Journalist*innen die sich erdreisten, die andauernde Ausweitung von Ausnahmereglungen auch kritisch und als weitere Gefährdung der schon ausgehöhlten liberalen Demokratie zu betrachten. Zumindest der größte Teil der Medien steht aber fest in der Front und erklärt etwa, warum die Einschränkungen der persönlichen Freiheit eigentlich dafür da sind genau diese Freiheit zu schützen (und nicht etwa die Gesundheit, die oft genug ja durchaus unabhängig von Freiheiten ist). Krieg ist in dieser Welt eben gleichbedeutend mit Frieden.

Dabei macht die Konkurrenz zwischen Nationen und Staaten selbstverständlich auch keine Pause in einer Situation, die nicht nur einzelne Staaten, sondern die Menschheit als solche betrifft. Während aus Gründen der nationalen Solidarität von Hamsterkäufen abgeraten wird (es ist ja „genug für alle da“ [3]) streiten sich Staaten untereinander durchaus um Schutzausrüstungen, Medikamente, mögliche Impfstoffe. Ohne Konkurrenz ist diese Welt eben nicht zu haben, selbst wenn sie noch offensichtlicher als ohnehin schon widersinnig ist.

Die angesprochene Sehnsucht nach der Autorität des Staates, nach der starken Hand, die Bedrohungen fernhält und den richtigen Weg weist ist dabei bedrohlich. Versammlungsverbote etwa illegalisieren von vornherein jeden wirksamen Protest gegen das autoritäre Krisenmanagement (auch wenn es zur Zeit vernünftig ist, auf größere Zusammenkünfte zu verzichten, s.o.). Der massenhafte Zugriff auf die Standortdaten von Mobiltelefonen weitet den bisherigen Nutzen eigenen Telefons als verlängerten Arm der Repressionsbehörden weiter aus, ohne dass es eines debattierten Gesetzentwurfs bedurft hätte. Selbst die konservative Ärztekammer muss klarstellen, dass Ausgangssperren einen massiven Eingriff in die Grundrechte bedeuten und es zumindest klar sein müsse, bis wann sie gelten. Schließlich wird die Pandemie noch einige Zeit andauern. Es gilt besonders wachsam zu sein, wie es damit während und auch nach der Pandemie weitergeht. Ob der Ausnahmezustand etwa einfach in reguläre Gesetze übergeht und die Kriminalisierung jeder From von Protest deutlich erleichtert, wie etwa in Frankreich nach den islamistischen Terroranschlägen von 2015.

Fest steht, dass die politischen Kosten für die Verhängung des Ausnahmezustands, Anordnung von Ausgangssperren, Durchsetzung von Versammlungsverboten, für präventive Maßnahmen aller Art (nicht nur epidemiologische) und die Einführung vieler neuer Möglichkeiten der Repression deutlich sinken dürften. Schließlich war es dann alles schonmal da, es stellt also keinen „Dammbruch“ dar. Und wen erweiterte Durchgriffsmöglichkeiten des Staates als erstes und härtestes treffen werden können wir uns gut vorstellen. Nämlich die, die sich nicht in den Volkskörper integrieren wollen oder dürfen.

[1]: Nicht weit entfernt davon ist auch die Aussage des ehemaligen deutschen Kriegsministers Franz Josef Jung von 2006, bewusst rechtswidrig den Abschuss entführter Passagierflugzeuge befehlen zu wollen.

[2]: Dazu der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil: „Es [Einschränkungen der Bewegungsfreiheit] wird die wenigsten von uns treffen, etwa Jugendgruppen.“

[3]: Dass die bloße Existenz oder Nicht-Existenz von Gütern in der kapitalistischen Welt auch in Nicht-Krisenzeiten nicht der Grund dafür ist, dass manche Menschen auf diese zugreifen können und andere nicht fällt den Autor*innen wohl schon gar nicht mehr auf.