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Das Problem heißt Rassismus – 5 Jahre NSU-Selbstenttarnung

Am 04. November 2016 jährt sich die Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds zum fünften Mal und die Debatte dreht sich immer noch im Kreis.
Am Geschehen rund um den NSU lässt sich der weit verbreitete und institutionell verankerte Rassismus in Deutschland deutlich aufzeigen.

Seit 1999 ermordete der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) jahrelang unbehelligt in Deutschland 9 Migrant*innen und eine Polizistin. Bei Sprengstoffattentaten verletzte er zahlreiche Menschen und versetzte viele weitere in Angst und Schrecken. Hierbei wurde die Terrorbande vom Verfassungsschutz mit aufgebaut, jahrelang finanziert und gedeckt. Über sogenannte V-Männer wurden Gelder dem NSU zugänglich gemacht und rechtsradikale Netzwerke ausgebaut. Der Verfassungsschutz wusste vom NSU und seiner Mordserie. So wurde bekannt das der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Hessen Andreas Temme während des Mordes an Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel anwesend war. Nach dem Auffliegen des NSU vernichtete der Verfassungsschutz unzählige Akten, versucht das Ganze zu vertuschen und behindert bis heute die Aufklärung.

Die deutsche Polizei ermittelte bis zur Selbstenttarnung des NSU und trotz mehrerer Hinweise und Aussagen von Betroffenen gegen die Betroffenen selbst oder gegen Anwohner*innen.
Ständig wurde eine Familientat als Motiv in Betracht gezogen und die Opfer wurden mit Anschuldigungen überhäuft. Hier stellt sich der institutionalisierte Rassismus der deutschen Behörden ganz offen dar, reichte doch der Migrationshintergrund der Opfer aus, ihnen organisierte Kriminalität und Familienmorde zu unterstellen. So wurde die Sonderkommission, welche seit 2005 für die Ermittlungen zuständig war, „Soko Bosporus“ genannt. In einem LKA-Gutachten heißt es: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist“. Ein rassistisches Tatmotiv wurde, trotz des Fehlens irgendwelcher Ermittlungsergebnisse, nie in Betracht gezogen.

Auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft kam nicht auf die Idee, den Opfern der Morde und Anschläge zuzuhören. Es gab mehrere Demonstrationen von Betroffenen die versuchten deutlich zu machen, dass Rassismus das Motiv war. Weder die deutsche Presselandschaft noch Politiker*innen gingen hierauf ein. Stattdessen wurden die Polizeiberichte, wie so oft, von der Presse übernommen und so die rassistischen Ermittlungen gestützt und verbreitet. Nach dem Bekanntwerden des NSU wurden die Opfer durch Begriffe wie „Dönermorde“ verunglimpft und die Taten verharmlost.

Neben einem Geheimdienst und einer rassistischen Polizei konnte der NSU aber auch auf die Unterstützung oder zumindest die Ignoranz ihrer Nachbar*innen zurückgreifen. In den Gegenden Sachsen und Thüringen war eine rechte Infrastruktur jahrelang aufgebaut worden und wird von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert. Die Volksgemeinschaft, die Mixtur aus „normalen“ Bürger*innen und organisierten Neo-Nazis, drückt sich hier ganz konkret aus und wer sich die Zahlen rassistischer Straftaten ansieht müsste erkennen: sie besteht genauso brutal weiter.

Nicht geändert hat sich nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern auch die Berichterstattung ist immer noch skandalös. Seitdem DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt bei der Leiche von Peggy K. gefunden wurden, wird wieder relativ viel über den NSU berichtet. Allerdings in gewohnt entpolitisierender Manier. Wurde schon zuvor von den allermeisten Medien Beate Zschäpe als eine Art Mitläuferin verharmlost, was einer gehörigen Portion Sexismus bedarf, wird nun der gesamte NSU pathologisiert. Zum einen ist dies ein Schlag ins Gesicht für psychisch erkrankte Menschen, zum anderen wird die völkisch-rassistische Ideologie des NSU und der gesellschaftliche Rassismus damit verharmlost und verleugnet. So ist der Kriminalbiologe Mark Benecke der Auffassung, dass die Taten des NSU wenig mit „Ausländerfeindlichkeit“ zu tun hätten.

Wir wollen den Opfern des NSU-Terrors gedenken.
Es gilt, den gesellschaftlichen Rassismus und Nationalismus anzugreifen, der Ursache für die mörderische Ideologie des NSU war.

In Gedenken an:

Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kiliç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter